Sonnenfinsternis: Kriminalroman
widerspruchslos hinnahmen. Eine Demonstration im Mai 1963, bei der sie ihre Regierungsbeteiligung lauthals einforderten, wurde durch als Polizisten und Zivilisten verkleidete Gladio-Mitglieder gewaltsam aufgelöst. Mehr als zweihundert Demonstranten wurden dabei verletzt. Gleichzeitig plante eine Verschwörergruppe im Hintergrund einen Staatsstreich und wartete nur noch auf den richtigen Moment. Als der amerikanische Präsident John F. Kennedy, dessen versöhnliche Einstellung gegenüber den italienischen Sozialisten deren Regierungsbeteiligung überhaupt erst möglich gemacht hatte, im November 1963 in Dallas ermordet wurde, war der Moment gekommen. Die Putschisten wurden vom Kommandanten der Carabinieri, General Giovanni De Lorenzo, angeführt. Er kooperierte seinerseits eng mit Vertretern der CIA sowie dem Gladio-Kommandeur Renzo Rocca. Als ersten Schritt liess er durch Gladio-Mitglieder verschiedene Büros der regierenden Christdemokraten sowie einiger Tageszeitungen bombardieren und schob den Terror dann der Linken in die Schuhe. Als sich die Regierung nicht einschüchtern liess, gab De Lorenzo den Befehl, auf sein Signal hin die Regierungsbüros, die wichtigsten Kommunikationseinrichtungen, die Zentralen der Linksparteien, die Hauptsitze der wichtigsten linken Zeitungen sowie alle Radio- und Fernsehzentren zu besetzen. Ebenso wurden einige der Putschisten mit Namenslisten ausgerüstet. Die darauf aufgeführten Personen –primär Sozialisten und Kommunisten – waren aufzuspüren, zu verhaften und nach Sardinien zu deportieren, wo das geheime Gladio-Zentrum als Gefängnis dienen sollte. Ein Vierteljahr später, am 14. Juni 1964, gab De Lorenzo dann endlich das langerwartete Zeichen und marschierte mit Panzern, Schützenpanzern, Jeeps und Granatwerfern in Rom ein, während die NATO ein gross angelegtes Manöver in der Gegend abhielt, um die italienische Regierung einzuschüchtern. Diesmal wirkte es. Ministerpräsident Aldo Moro traf sich heimlich mit De Lorenzo, und im Anschluss daran verzichteten die Sozialisten stillschweigend auf die eben erst erhaltenen Ministerposten. Die Gladio-Spuren wurden verwischt. Als im Juli 1968 Ermittler den Gladio-Kommandeur Renzo Rocca befragen wollten, fanden sie ihn tot in einer Privatwohnung in Rom auf. Der anscheinend zu einer Aussage bereite Rocca war durch einen Kopfschuss hingerichtet worden. Ein Richter, der hartnäckig die Spur dieses Mordes verfolgte, wurde schliesslich durch eine höhere Instanz vom Fall abgezogen.
Das Telefon läutete. Während Dr. Enteler ein kurzes Gespräch führte, verdaute ich das soeben Gehörte. Hätte mir sonst jemand diese Geschichte aufgetischt, ich hätte ihn ausgelacht. Aber Enteler war offensichtlich eine anerkannte Koryphäe auf diesem Gebiet und machte mir ganz und gar nicht den Eindruck eines politischen Wirrkopfs. Als er sein Telefonat beendet hatte, fragte ich ihn deshalb pointiert: «Entschuldigen Sie, Dr. Enteler, aber wie viel davon sind belegte Tatsachen? Ich meine, das Ganze klingt schon sehr abenteuerlich, das müssen Sie zugeben.»
Er schmunzelte und nickte zustimmend. «Ja, da haben Sie absolut Recht. Auch ich war am Anfang meiner Forschungsarbeiten ziemlich skeptisch. Aber alles, was ich ihnen bisher erzählt habe, ist durch offizielle Dokumente oder glaubwürdige Zeugenaussagen belegt.»
«Das ist aber wirklich ganz schön starker Tobak.»
«Ja, nicht wahr? Und bisher habe ich nur über Italien gesprochen.»
«Das wäre meine nächste Frage gewesen. Ich habe gelesen, dass sich die Organisation über ganz Westeuropa, Griechenland und die Türkei erstreckt haben soll.»
Er schüttelte den Kopf und antwortete: «Das ist nicht ganz korrekt. Gladio war auf Italien beschränkt. Allerdings wird die Bezeichnung umgangssprachlich oft für alle solchen Geheimarmeen verwendet. Im Fachjargon werden sie als Stay-Behind -Organisationen bezeichnet, weil ihre Hauptaufgabe theoretisch darin bestand en hätte , den Widerstand nach dem erwarteten Einmarsch der Sowjetunion zu organisieren.»
«Und wie viele davon gab’s denn nun?»
«Nun, alle westeuropäischen Länder verfügten über eine solche Stay-Behind-Organisation. Diese wurden von einer Geheimstelle der NATO, dem Allied Coordination Committee , kurz ACC, koordiniert. Daneben gab es noch eine zweite Koordinationsstelle, das Clandestine Planning Committee oder CPC, welches für die reibungslose Zusam men arbeit zwischen den beteiligten Geheimarmeen und der militäri schen
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