Sonnenflügel: Roman. Band 2 der Fledermaus-Trilogie (German Edition)
das, durch welches er hereingekommen war, aber sie waren alle ebenso fest verschlossen und unbeweglich.
Aber er würde nicht aufgeben. Es musste einen Weg nach draußen geben. Er war sich noch nicht sicher, ob er ihn auch benützen würde, aber er wollte jedenfalls wissen, dass er existierte.
Gerade glitt er dicht unter dem Dach entlang, suchte angestrengt nach einem kalten Luftzug, nach irgendetwas, das ihn zu einem Spalt, einem Abzugsloch, irgendeinem möglichen Ausgang führen könnte. Wie immer: nichts. Er blickte über den Wald. Er wusste, es würde Monate dauern, ihn ganz genau abzusuchen, und selbst dann könnte ihm etwas entgehen.
Wenn er nur Hilfe hätte ... aber alle anderen wollten nur schlafen, und wenn sie nicht gerade schliefen, jagten sie träge oder kämmten sich ihr Fell. Ariel lud ihn immer wieder ein bei ihr zu lagern oder mit ihr zu jagen, aber er hielt sich fern von ihr. Er hatte eine Aufgabe und es ärgerte ihn, dass sie das nicht genauso sah wie er. Sie sagte zwar nichts, aber er wusste es trotzdem. Sie war hier glücklich – wie alle anderen auch. Sogar Frieda verbrachte die meiste Zeit an ihrem Lieblingsplatz, auf einem Stein am Bach, und wärmte ihre alten Knochen im wandernden Sonnenlicht. Warum war sie nicht stärker beunruhigt wegen der anderen im Hibernaculum? Und was war mit den Eulen? Die Älteste müsste sich doch eigentlich auch darum bemühen hinauszukommen.
Marina hatte sich mit einer Gruppe Glanzflügel angefreundet, und wenn sie sich nicht bei denen aufhielt, war sie immer mit Chinook zusammen. Es war nicht zu glauben. Wenn Schatten ihr klingelndes Lachen hörte, wollte er am liebsten in den Fels beißen. Zuerst hatte sie ihn aufgefordert sich ihnen anzuschließen, aber er fand immer Entschuldigungen, und inzwischen fragte sie ihn nicht einmal mehr, sondern schenkte ihm nur ein schnelles, angespanntes Lächeln und flog mit den anderen weg.
Jeder um ihn herum war glücklich, nur er fühlte sich wie ein nasses Blatt.
„Immer noch auf der Suche?“ Marina war von hinten an ihn herangeflogen.
„Hmmm“, knurrte Schatten. Er warf ihr einen kurzen Blick zu, er war sich nicht sicher, ob sie nur freundlich sein wollte oder ihn leise verspottete. Aber er war froh sie zu sehen, besonders ohne Chinook im Schlepptau. Nächtelang hatte er sie nicht mehr allein zu Gesicht bekommen.
„Und wie genießt du das Paradies?“, fragte er, ohne den Sarkasmus in seiner Stimme unterdrücken zu können.
„Besser als von Eulen gefressen zu werden“, sagte sie lächelnd. „Komm, Schatten, mach mal eine Pause. Wenn jemand eine verdient hat, dann du. Dieser Ort ist doch nicht so schlecht.“
Er wollte ihr glauben und für einen Augenblick fühlte er, wie er sich entspannte. Vielleicht war dies wirklich das Ende der Reise und warum sollte er nicht die Flügel zusammenfalten und lang und tief schlafen? Es wäre so einfach. Ein Bärenspinner brummte nur Zentimeter an seiner Nase vorbei und er runzelte die Stirn.
„Du weißt doch, wo die Insekten herkommen?“, sagte er nebenbei. „Diese kleinen Löcher in den Klippen. Überall gibt’s die. Schau, gerade da drüben ist eins.“ Er flog näher heran und schlug mit der Flügelspitze dagegen. „Schau dir das an. Die Insekten kommen geradewegs herausgeschosssen. Kaum zu glauben, was?“
„Schatten, welche Rolle spielt das denn?“
„Sie schmecken noch nicht mal so besonders.“
„Du beschwerst dich über die Nahrung? Du wärst also lieber draußen, um gefrorene Flechten von einem Baum zu kratzen?“
„Gib’s doch zu, Marina. Die Insekten schmecken nicht normal, und sie schmecken alle gleich. Die Käfer sind auch nicht so knackig wie draußen. Du musst das doch bemerkt haben.“
Sie blickte finster drein. „Vielleicht habe ich das, aber ist das denn so schlimm?“
„Zu leicht zu fangen“, murmelte er. „Sogar die Bärenspinner sind wie benommen. Mir ist noch keiner entwischt. Bärenspinner sollten ein bisschen Widerstand leisten ...“ Er verstummte, fühlte sich kindisch. Zusammen flatterten sie zu einem Baum hinab und ließen sich nebeneinander nieder. Eine Weile sprach keiner von beiden.
„Es tut mir Leid wegen deines Vaters“, sagte sie schließlich.
„Ich verstehe bloß nicht, wieso er nicht hier ist. Es bringt mich zum Grübeln, weißt du, dass dies vielleicht doch nicht der richtige Ort ist, dass wir einen Fehler gemacht haben.“
„Kommt mir nicht wie ein Fehler vor“, sagte Marina. „Warum bist du so
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