Sonnenflügel: Roman. Band 2 der Fledermaus-Trilogie (German Edition)
kurvte Schatten und fiel auf das Wasser zu, seine aufgefächerten Flügel schlugen die Luft mit aller Kraft. Er flog fast auf der Stelle, als er auf der dampfenden Oberfläche aufsetzte und mit fest geschlossenen Augen das Ende erwartete.
Nichts.
Vorsichtig landete Chinook am Ufer. „Komisch. Du bist nicht explodiert“, sagte er mit mehr Überraschung als Erleichterung.
„Die Scheibe ist noch dran“, keuchte Schatten. „Kannst du unter mich schwimmen und das letzte Stückchen abbeißen?“
„Komm nur an Land.“
„Das will ich nicht riskieren. Komm du her, Chinook.“ Schon konnte er fühlen, wie ihn das Gewicht der Scheibe tiefer ins Wasser zog, und er wollte nicht zu heftig mit den Flügeln spritzen, falls die Bewegung eine Explosion auslösen könnte.
„Ich mag Wasser nicht“, sagte Chinook.
„Ich auch nicht“, sagte Schatten und verlor langsam die Geduld. „Also komm her und beiß mir dieses Ding ab.“
Chinook rümpfte angesichts des öligen Wassers vor Abscheu die Nase. Es hatte einen Überzug von verrottenden Blättern und Gräsern und erzeugte einen starken Fäulnisgeruch. Die große Fledermaus seufzte, legte die Flügel eng an und tauchte vorsichtig ins Wasser. Dabei hielt Chinook den Kopf oben.
Während Schatten ihn näher kommen sah, dachte er mit Bedauern: Warum bist du nicht Marina? Dann hatte er Gewissensbisse.
„Danke, Chinook.“
„Du willst, dass ich tauche?“
„Darauf läuft’s wohl hinaus, ja.“
Chinook holte Luft und verschwand im Wasser. Schatten spürte, wie er seinen Bauch berührte, aber fast sofort kam er prustend neben ihm hoch.
„Irgendetwas hat mich da unten berührt!“
„Bist du sicher?“
Schatten zog instinktiv die Füße an. Chinooks Augen suchten die Oberfläche des Wassers ab. Es war so dreckig, dass man nichts darin erkennen konnte.
„Vielleicht war es nur ein Stück Rinde oder so was“, sagte Schatten.
Dann strich etwas an seinem Schwanz vorbei. Er spürte es, die ganze flinke, schuppige Länge, bevor er seinen Schwanz wegreißen konnte und sich dabei in seiner Panik fast auf den Rücken legte.
„Das ist keine Rinde!“
Chinook peitschte sich bereits zum Ufer.
„Die Scheibe!“, zischte Schatten. Woher sollte er wissen, dass sie nicht explodierte, wenn er aus dem Wasser kletterte? Aber seitwärts sah er eine lange Furche aus dem Wasser ragen, ein Kopf mit hervorquellenden Augen brach an die Oberfläche gefolgt von einem glatten, schuppigen Rücken, über einen Meter lang. Es war irgendeine Sorte Fisch, anders als alle, die er je gesehen hatte. Dieser Fisch hatte Zähne. Dicke dreieckige Zähne in einem offenen Maul.
Dann war er verschwunden, irgendwo unter ihm, unsichtbar.
Und wartete.
Schatten hielt es nicht länger aus. Scheibe oder nicht Scheibe, er musste hier raus. Er ruderte los hinter Chinook auf das Ufer zu. Auf halber Strecke dorthin wurde er plötzlich in einem glatten, schnellen Ruck unter Wasser gezogen. Er schlug um sich, ohne in dem trüben Wasser etwas zu sehen. Aber an dem stechenden Schmerz am Bauch erkannte er, dass der Fisch ihn an der Scheibe nach unten zerrte.
Er hatte sie im Maul.
Schatten versuchte dagegenzuhalten, aber seine aufgeweichten Flügel waren nutzlos, als der mächtige Fisch tiefer abtauchte. Er machte einen letzten gewaltigen Ruck nach hinten und spürte, wie der letzte Stich in seinem Bauch nachgab. Er war frei. Mühsam legte er die Flügel an und strampelte heftig. Unerträglich langsam kam er nach oben. Der Fisch konnte ihn in Sekundenschnelle einholen, wenn er wollte.
Schließlich kam er an die Oberfläche, keuchte und sah Chinook, der am Ufer kauerte. Erleichterung huschte über sein Gesicht. Aber bevor Schatten auch nur ein Wort formulieren konnte, gab es ein gedämpftes, aber mächtiges Geräusch von etwas Platzendem tief unter ihm. Das Wasser kochte und schleuderte ihn in einer gewaltigen Fontäne in die Luft. Er wurde fast auf die Höhe der Bäume geworfen, breitete sofort die Flügel aus und ließ sich in Spiralen zu Chinook hinuntertragen.
„Der Fisch hat die Scheibe gefressen“, japste er.
Eine Weile lang sprachen sie nicht und beobachteten nur, wie sich das Wasser langsam beruhigte. Dann richtete Schatten den Blick hoch zu den aufragenden Bäumen und den fremden Sternen, und mit gespitzten Ohren lauschte er auf die Rufe fremdartiger Tiere, die nah und fern ertönten: unheimliches Kreischen, Heulen und Krähen, einiges davon beunruhigend nahe.
Der Wald war ganz anders, als was er
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