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Sonnenflügel: Roman. Band 2 der Fledermaus-Trilogie (German Edition)

Sonnenflügel: Roman. Band 2 der Fledermaus-Trilogie (German Edition)

Titel: Sonnenflügel: Roman. Band 2 der Fledermaus-Trilogie (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kenneth Oppel
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herrschen.“
    Es gab keinen Schrei, nur ein markerschütterndes Geräusch von reißendem Fleisch.
    Es hatte begonnen.
    Und Schatten wusste, nun, in der völligen Dunkelheit, hatte er seine einzige Chance.

– 15 –
Klangtäuscher
    Er verwandelte sich in einen Geier.
    Schatten leerte seinen Kopf von allen Gedanken und hämmerte sich aus Klang einen neuen Körper. Gefiederte Flügel streckten sich von seiner geblähten Brust, sein Hals wuchs länger und sein Gesicht wurde das eines Geiers mit kleinen bösartigen Augen und einem kurzen, gefährlich scharfen Schnabel.
    Riesig warf er sich in den Raum. Alle seine Stimmbänder spannen immer wieder dieses Trugbild. Seinen Fledermausgeruch konnte er nicht überdecken. Ein gründliches Schnüffeln würde ihn sofort verraten, aber wer würde ihm schon nahe genug kommen? Und solange es kein Licht gab, konnte ihn niemand als das erkennen, was er in Wahrheit war: ein ängstlicher Silberflügelknirps.
    Er glitt über den Raum mit Klangflügeln von über zwei Metern Spannweite und unter ihm brach bei den Kannibalenwächtern Panik aus. Er fühlte sich halb toll und unbesiegbar. Er war ein Geier, er flog auf die Dschungelfledermäuse zu mit weit geöffnetem Schnabel. Er sah alles nur verschwommen, ein verwischtes Bild von Klängen vor seinem inneren Auge. Er hatte wenig Echos übrig für sein eigenes Sehen und war so halb blind, als er durch den Raum torkelte.
    Dort: Ein Kannibalenwächter wich entsetzt zurück, stolperte von seinem Gefangenen weg.
    Da drüben: Eine plötzlich freigelassene nördliche Fledermaus verschwendete keine Zeit, sondern flog hoch, hin zur runden Öffnung. Raus, sie war draußen, hatte es geschafft!
    Und dort: Goth drehte enge Kreise in der Luft, sandte Klang zu ihm hinab, zu diesem riesigen Geier.
    „Wir verlieren Zeit!“, hörte er eine Dschungelfledermaus wütend rufen. „Fahrt fort mit den Opfern, sonst verpassen wir die Sonnenfinsternis!“
    Schatten flog niedriger, griff im Tiefflug die Kannibalen um den riesigen runden Stein an, versuchte so viele wie möglich abzuschrecken. Der ganze Raum war nun ein geflügeltes Chaos, als die Fledermäuse – Kannibalen und nördliche – voller Entsetzen die Luft peitschten.
    Fliegt!, schrie Schatten innerlich. Ihr alle, fliegt jetzt! Chinook, Mutter, Vater!
    „Es ist Klang! Nur Klang!“
    Das wütende Brüllen schallte durch den Raum und sofort erkannte Schatten Goths Stimme.
    „Es gibt keinen Geier! Ein Täuscher ist in unserer Mitte! Wachen, bleibt beim Heiligen Stein! Haltet die Opfertiere fest!“
    Wo war Goth? Schatten drehte sich alarmiert um, versuchte ihn mit dem Klangecho zu erfassen und in seiner Panik zersetzte sich sein Geier mitten in der Luft, der linke Flügel mauserte sich und hing Mitleid erregend nach unten, die Klauen krümelten weg wie ein verwesender Körper.
    Goth stürzte sich auf ihn herab, zielte auf das Genick des Geiers und flog direkt durch ihn hindurch, verstreute silberne Klangperlen.
    „Seht ihr!“, brüllte Goth. „Da ist nichts!“
    Schatten spürte, wie sich sein Trugbild auflöste, und bemühte sich verzweifelt, den Zerfall aufzuhalten, aber es war zu spät. Goth hatte es mit den Klauen durchlöchert und nun platzte all sein sorgfältig gebündelter Klang auseinander und der Geier explodierte über den ganzen Raum hin in einem Schauer wie von Quecksilber.
    Als Ablenkung reichte das aus, sodass er wegfliegen und sich an die Decke klammern konnte: Er war wieder klein und bemühte sich noch kleiner zu werden. Wenigstens hatte er jetzt wieder seine vollständige Sehkraft. Er schoss Echos los und der ganze Raum kehrte in kristallener Schärfe zurück.
    Das Herz wurde ihm schwer. Auf dem Stein und am Boden waren immer noch so viele nördliche Fledermäuse im Griff der Kannibalen. Er sah, wie sich die alte Dschungelfledermaus mit dem verkrümmten Rückgrat über einem ihrer Opfer aufrichtete und dann mit Klauen und Zähnen hinabfuhr. Seine Bewegungen waren wie rasend und verzweifelt. Als er sich wieder erhob, hielt er ein Herz in den Zähnen. Er trampelte über den aufgerissenen, leblosen Körper zum nächsten sich windenden Opfer.
    Der alte Kannibale richtete sich auf, um wieder zuzuschlagen, als sich ein ausgemergelter Silberflügel gegen seinen krummen Rücken schleuderte und ihn umwarf. Schatten brauchte einen Augenblick, ehe er Ishmael erkannte, der sich jetzt als ein zischendes, kreischendes Bündel auf einen der Wächter warf, der das Opfer am Boden

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