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Sonnenflügel: Roman. Band 2 der Fledermaus-Trilogie (German Edition)

Sonnenflügel: Roman. Band 2 der Fledermaus-Trilogie (German Edition)

Titel: Sonnenflügel: Roman. Band 2 der Fledermaus-Trilogie (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kenneth Oppel
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kamen.
    „Jetzt hier lang“, sagte Ishmael und führte sie in rasendem Flug auf die Mauer zu. Schatten folgte ihm, zuckte zusammen, als er sich in einen engen Spalt zwischen die Steine zwängte.
    Schatten atmete aus und sein Tarnmantel schmolz weg.
    „Folge mir“, sagte Ishmael.
    Der Spalt war so eng, dass er Schatten fast die Rippen eindrückte, als er hinter Ishmael auf dem Bauch immer weiter nach oben rutschte. Fäden von Tageslicht drangen durch die Ritzen herab und er merkte, dass sie sich der Spitze der Pyramide näherten.
    „Hier lang, hier lang“, flüsterte Ishmael.
    Der Gang öffnete sich plötzlich und vor ihm waren zwei runde Löcher, durch die gedämpftes Tageslicht hereinströmte. Nach der Dunkelheit war es fast blendend hell, aber ihm ging das Herz auf. Die Sonne war noch da. Nicht tot. Nicht verfinstert. Noch nicht.
    Er sah, dass er auf einem weißlichen, kalkigen Material hockte, nicht auf Stein, und ruckartig wurde ihm klar, dass er sich im Inneren eines menschlichen Schädels befang. Die Löcher waren Augenhöhlen und unter ihm befanden sich zuammengebissene Zähne.
    Er bewegte den Kopf zu einer Augenhöhle und schaute hinaus.
    Als Erstes sah er eine runde Öffnung in der hohen Decke der Kammer und mitten darin erschien die Sonne oder, was von ihr übrig war. Er konnte beinahe verfolgen, wie sie schrumpfte, wie sie von der Dunkelheit aufgefressen wurde. Sie war schon so beschädigt, dass er kaum den Blick abwenden musste, obwohl ihm klar war, dass er das tun sollte. Es war, als beobachtete er etwas beim Sterben, und es flößte ihm Entsetzen ein.
    Der Raum war rechteckig. Ein schwaches Licht spielte auf den Figuren, die in die Steinwände gemeißelt waren. Er war nicht ein bisschen überrascht die gefiederte Schlange zu sehen, den Jaguar, die doppelköpfige Gottesanbeterin. Und in jeder Ecke des Raums einen alles beobachtenden Augenschlitz.
    Er blickte nach unten. Direkt unterhalb der kreisförmigen Öffnung befand sich eine riesige Steinscheibe, deren Oberfläche mit dutzenden von nördlichen Fledermäusen bedeckt war. Ihre Flügel waren ausgestreckt und wurden von den Kannibalen festgehalten. Neben dem Stein befanden sich dicht gedrängt weitere Fledermäuse im festen Griff von Wächtern.
    „Mein Bruder“, hörte er Ishmael neben sich flüstern. „Ich sehe ihn!“
    Schatten ließ die Augen über die Fledermäuse wandern, die zum Opfer bereit ausgebreitet dalagen. Wo ist Chinook? Wo ist Ariel? Wo ist mein Vater? Aber er konnte nichts mehr sehen, denn niedrig über dem Stein schwebte Goth.
    Schatten erkannte ihn sofort, den schwarzen Ring am Unterarm, die Form der Flügel, den Fellkamm auf seinem massigen Kopf. Neben ihm flog eine andere Fledermaus, eine viel ältere mit krummem Rückgrat, und er schien mit der Beobachtung der Sonne durch die Deckenöffnung beschäftigt.
    „Lass uns anfangen!“, brüllte Goth.
    „Noch nicht“, sagte der andere. „Wir müssen warten, bis die Sonne völlig ausgelöscht ist. Du erinnerst dich an die Worte von Zotz. Einhundert während der Dunkelheit der Sonnenfinsternis. Jetzt schon anzufangen würde bedeuten, wertvolle Herzen zu verschwenden.“
    „Haben sie die Eindringlinge schon gefangen?“, rief Goth einem Wächter zu, der gerade durch die Wendeltreppe in den Raum heraufgeflogen kam.
    „Noch nicht, König Goth. Aber bald haben wir sie alle.“
    „Wenn uns nur einer an den hundert fehlt, wirst du das letzte Opfer sein! Bringt mir jetzt Eulen und Ratten! Wir fangen gleich an!“
    Einhundert Opfer, und Zotz würde aus der Unterwelt entfesselt sein. Besorgt blickte Schatten zur Sonne. Sie war jetzt nur noch eine ganz schmale Sichel, ein in der Luft hängendes Fädchen Licht. Er sah, wie sich der Himmel verdunkelte und Scharen von Vögeln entsetzt über diese verfrühte Nacht zu ihren Nestern zurückjagten. Wie lange dauerte eine Sonnenfinsternis? Wenn er die Opferungen irgendwie verzögern konnte ...
    Die Sonne ging aus.
    Er war nicht vorbereitet auf diesen Augenblick völliger Dunkelheit. Der Himmel war dämmrig. Es gab keine Sterne, keinen Mond. Seine Augen konnten ihm genauso gut aus dem Kopf gerissen worden sein.
    In der Dunkelheit konnte man nur mit Klängen sehen. Er schloss die Augen fest. Er spann ein Gewebe von Echos und in seinem Kopf bildete sich der Raum silbern ab.
    Goths Stimme füllte die feuchte Luft.
    „Dir, Zotz, bringe ich dieses erste Opfer dar, um dir die Kraft zu geben, in unsere Welt zu treten und für immer in Dunkelheit zu

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