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Sonnenkoenig

Sonnenkoenig

Titel: Sonnenkoenig Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Richard Lifka
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kaum dass das Signal gegeben worden war, wie von Taranteln gestochen
von ihren Sitzen aufsprangen, hektisch ihr Gepäck zusammenrafften und ein
heilloses Durcheinander verursachten. Ständig stieß irgendjemand mit einem
anderen zusammen, wurden Gepäckfachklappen gegen Köpfe geschlagen, und alles
nur, um in gebückter Haltung eingeklemmt im Flur zu stehen und zu warten, bis
schließlich die Fluggastbrücke angedockt war und die Türen sich öffneten.
    Sie stand auf, trat in den Gang,
hob ihren roten Bordkoffer herunter, stellte ihn auf den Sitz, öffnete den
Reißverschluss des Außenfachs und fingerte eine CD-Hülle heraus. Sie strich
ihren beigefarbenen Rock glatt, zog den Blazer an und ordnete das dunkelblonde,
mit hellen Streifen durchsetzte halblange Haar, indem sie es mehrmals mit
gespreizten Fingern durchkämmte. Bevor sie sich zum Ausgang begab, schob sie
den Datenträger unter die Jacke und klemmte diese am Rockbund ein.

     

II.
Sometimes words have two meanings
    Auf der Route 66
standen plötzlich die Autos auf beiden Fahrspuren. Direkt in der Kurve hinter
Hattersheim. Ninus Hagen stieg in die Eisen und die graue Ente bäumte sich auf.
Gleichzeitig drückte er den Knopf für die Warnblinkanlage und behielt den Wagen
hinter sich im Auge. Auch der blinkte jetzt an allen vier Ecken. Keine Gefahr
und reine Routine.
    Wie eh und je war die Autobahn
zwischen Wiesbaden und Frankfurt, von Einwohnern des Rhein-Main-Gebiets
fatalistisch die Schleichspur zum Geldadel genannt, überfüllt. Trotz des teuren
Ausbaus anlässlich der Fußballweltmeisterschaft hatte sich nichts an den
täglichen Staubildungen geändert. Wie eh und je, dachte Ninus. Egal, ob es zum
Studieren an die Frankfurter Goethe-Universität gegangen war, zu Rockkonzerten
in die Festhalle oder zu Zechtouren durch die Apfelweinhochburg Sachsenhausen,
die Pkws rotteten sich zusammen und tuckerten gemächlich zwischen der Landes-
und der Geldhauptstadt hin und her.
    Der Fluss dieser
nervenaufreibenden Langsamkeit kam regelmäßig zum Erliegen, sei es durch die
nie endenden Baumaßnahmen in Form von Wanderbaustellen, auf denen niemals ein
Arbeiter, geschweige denn eine sich bewegende Baumaschine gesichtet worden war,
sei es durch Leitplankenputzkolonnen, Baum- und Buschbeschneidungsaktionen,
kriechende Militärkonvois mit rot und blau wehenden Fähnchen und einem aus der
Panzerluke herausschauenden grünbehelmten US-Soldaten. Natürlich pünktlich in
der Hauptverkehrszeit zwischen sieben und acht Uhr morgens und vier und fünf
Uhr abends. Weitere Störmanöver verursachten die liegen gebliebenen Rostlauben,
weil defekt oder treibstofflos, oder die aufgetürmten Schrotthaufen ineinander
verkeilter Luxuslimousinen. Hier ist immer etwas los, murmelte der
Privatdetektiv genervt vor sich hin. Als sich die Karawane langsam wieder in
Bewegung setzte, war es erst 35 Minuten nach zwei. Der Flieger wurde für 15 Uhr
erwartet. Aussteigen, Gepäckabholung und Zollkontrolle dauerten immer länger,
den Weltterrorismusverschwörungstheoretikern sei Dank. Ninus Hagen entspannte
sich und drehte die Lautstärke des Autoradios hoch.
    HR 1 spielte seit den frühen
Morgenstunden seine Lieblingslieder. Im Moment begann Robert Plant die Leiter
zum Himmel zu besteigen. ›There’s
a sign on the wall / But she wants to be sure / ’cause you know sometimes words
have two meanings …‹ Genial, einmalig und unvergleichlich. Ninus
schwelgte in Rockakkorden und sang lautstark mit. Seine Bekannten bezeichneten
seine Sangeskünste als Gegröle. Banausen.
    Mittlerweile hatte die Blechlawine
fast die erlaubte Höchstgeschwindigkeit erreicht, als alles wieder
zusammenbrach und das Ritual des Bremsens, Warnblinkens und Fluchens erneut die
Freiheit des Individuums auf unbegrenzte Bewegung zum Teufel jagte. Ninus
schlug aufs Lenkrad, blickte auf die Uhr und grunzte mit belegter,
rauchig-versoffener Stimme: »Be cool, Baby.« War das nicht Bogart in
Reinkultur? Na ja, hatte schließlich niemand gehört und Madonna bat jetzt
Argentinien, nicht um sie zu weinen.
    Am Wiesbadener Kreuz verließ Hagen
die A 66, um auf die A3 abzubiegen. In der lang gezogenen Rechtskurve
steckte an einem Leitpfosten eine verdreckte und halb zerfetzte
Deutschlandfahne, die bei jedem vorbeifahrenden Wagen aufflatterte. Der
traurige Rest eines nationalen Aufschreis und Symbol von erneut geplatzten
Meisterschaftsträumen. Kein Weltmeister, kein Europameister – Deutschlands
Fußballstern war wie eine

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