Sonnenkoenig
Ninus hatte kurz zuvor seinen Job bei der
Versicherung gekündigt. Er war genauso pleite wie sein Vater 30 Jahre zuvor und
hatte nicht gewusst, wie er die Beerdigungskosten aufbringen sollte. Da war er
plötzlich wieder erschienen, der edle Ritter, hatte die Bestattung würdevoll
und schlicht ausrichten lassen, die Kosten übernommen, Ninus am Grabe mit einem
kräftigen Händedruck, einer stummen Verbeugung kondoliert und war wieder
verschwunden.
Ninus hätte sich damals vor Scham
am liebsten zu seinem Vater in das frisch ausgehobene Loch verkrochen. Die
Scham war gewichen, die Wut gefolgt. Die Wut auf sich, die Wut auf den
arroganten Diplomatenschnösel, die Wut auf seinen Entschluss, sich als privater
Schnüffler für Versicherungen und gegen Versicherungsbetrüger selbstständig zu
machen und Wut auf diese ganze beschissene Welt.
Heute kann ich darüber lächeln, sagte er sich,
während er auf den Zubringer zum Terminal 1 abbog. Das war ein heißes Jahr
gewesen. Erst die Scheidung von Elke nach sieben unglücklichen Ehejahren, kurz
darauf der Tod meines Vaters und zu guter Letzt die Kündigung der sicheren
Stellung bei der Versicherung. Was blieb, war ein großer Haufen Lebenstrümmer
und ein Berg Schulden. Damit war ich auf dem besten Weg, als obdachloser
Alkoholiker eine Holzbank am Platz der Deutschen Einheit als ständigen Wohnsitz
zu beziehen.
Allerdings hatte die Beschämung
durch Burow, die schmerzhafte Wut auf diesen Mann und auf sich selbst bewirkt,
dass er noch mit einem blauen Auge aus der nach unten hin immer schneller
werdenden Sozialabstiegsspirale herausgekommen war … und natürlich sein
kleines, lautes Geheimnis im Keller.
Bevor Ninus die Entscheidung
treffen musste, ins Parkhaus zu fahren und eine sündhaft teure Gebühr zu
bezahlen oder direkt vor der Ankunftshalle seinen Wagen abzustellen, was bei
einer Dauer von mehr als 15 Minuten ebenfalls eine kostspielige Angelegenheit
werden konnte, resümierte er: Die Geburt von Burows Tochter war die
Wiederbelebung des Eigenheimtraums meiner Eltern, der Tod meines Vaters war
meine Rückführung aus der Gosse in ein gesellschaftlich akzeptiertes Leben,
mehr oder weniger, eben. Na, denn man tau, wie der aus Hamburg stammende
Wiesbadener Polizeibeamte und Hagens Freund Winfried Wanninger zu sagen
pflegte.
Es hatte eine Weile
gedauert, bis Ninus den Anrufer einzuordnen wusste, bis ihm klar geworden war,
wer dort am anderen Ende der Leitung sprach. Ziemlich übergangslos hatte ihn
Burow beauftragt und keine Ablehnung erwartet. Die Frage ›Werden Sie das für
mich erledigen?‹ war rein rhetorisch und beinhaltete das erwartete ›Ja‹.
Einerseits verspürte Ninus große
Lust, einfach wieder umzukehren. Wenn ein anderer ihn kurzerhand zu etwas –
Ninus erschien es so – missbrauchte, wobei er keine Chance hatte, zu überlegen,
ob er das eigentlich wollte oder nicht, ärgerte ihn das maßlos. Andererseits
fühlte er sich Burow verpflichtet, nicht zwanghaft, eher aus freien Stücken. Im
Grunde genommen empfand er den Auftrag als eine gute Gelegenheit, etwas von
dem, was Burow für seine Familie und ihn getan hatte, zurückzugeben. Außerdem,
und da kannte sich Ninus selbst sehr gut, war er gespannt auf Burows Tochter
Carla. Schließlich war sie gerade 12 Tage alt gewesen, als er sie das erste und
letzte Mal gesehen hatte und das war nun über 40 Jahre her.
Ninus entschied sich,
direkt vor die Ankunftshalle zu fahren. Langsam holperte er die Reihe der am
rechten Rand parkenden Fahrzeuge entlang und hoffte, einen freien Platz zu
erhaschen. Er hatte Glück. Am Ende der Halle A fuhr ein weißer BMW los und
Ninus stieß direkt in die Lücke. Es war kurz nach 15 Uhr. Wenn die Lufthansamaschine
aus Buenos Aires pünktlich war, rollte sie sicherlich bereits auf dem
Fraport-Gelände herum. Wenn Hagen jetzt aussteigen würde, müsste er die Parkuhr
mit Euros füttern und hätte genau eine viertel Stunde Zeit zurückzukommen, bis
er einen Gruß der Stadt Frankfurt an der Windschutzscheibe vorfinden würde. So
eine nette Geste machte die Stadtverwaltung natürlich nicht kostenlos.
Bis die Passagiere erscheinen
würden, dauerte es noch einige Zeit. Sollte das Flugzeug aber früher gelandet
sein, war es höchste Zeit für Ninus.
Sein Plan stand fest. Hagen stieg
betont gelangweilt aus dem immer noch fahrtüchtigen Citroën 2CV und blickte
sich verstohlen nach blauen Uniformen um. Die einzigen beiden Politessen, die
er erspähte, eine blond, die
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