Sonnenkoenig
dem Moment aufzutauchen, als
sich andere ebenfalls entschlossen hatten, den Sonnenkönig vom Thron zu stoßen.
Es waren nicht nur seine politischen Freunde, denen er zu mächtig geworden war,
die nur darauf warteten, denjenigen zu stürzen, der sie in der Hand hielt, der
sie über Jahre hinweg korrumpiert hatte. Sie hängten ihn hin, um nicht selbst
zu hängen. Ich glaube, wenn Rolozko auspackt, werden noch mehr Köpfe rollen.
Das wird nicht bei Staatssekretären aufhören. Unwichtig. Es waren gleichermaßen
seine Geschäftspartner, die sich mit ihm eingelassen hatten, die kassierten und
sich von seinem Glanz blenden ließen. Kordula Crown und Adrian Petrescu hatten
sich von ihm einwickeln lassen, hatten Urkunden gefälscht, Schwarzgelder
transferiert und sich dabei eine goldene Nase verdient. Damit hatten sie sich
in die totale Abhängigkeit von Rolozko begeben. Das wurde ihnen allerdings erst
nach und nach bewusst. Zu spät. Die Palastrevolution zahlten sie mit ihrem
Leben. Wirklich gefährlich warst nur du, du, die ihm so nahe wie sonst kein
Mensch gekommen war. Du hast ihm die Grundlagen seiner Macht geraubt. Die
Daten, die du ihm gestohlen hast, waren wertvoller, als du es selbst abschätzen
konntest. Sie waren die Grundpfeiler seines Imperiums, sie hätten in falschen,
seiner Meinung nach falschen, Händen das Gebäude aus Intrigen, Erpressung und
Korruption zum Einsturz gebracht. Jetzt musste er selbst handeln, durfte sich
nicht mehr auf irgendwelche Helfer und Helfershelfer verlassen. Mit jedem
Fehlschlag, die gefährlichen Daten zurückzubekommen, kam mehr und mehr sein
wahres Ich zum Vorschein. Aus dem smarten Partylöwen, dem gerissenen Geschäftsmann
wurde ein skrupelloser Gangster und brutaler Killer …«
»Es ist lieb von dir, mir ein
reines Gewissen einreden zu wollen. An der Ermordung Pauls bin alleine ich
schuld. Da gibt es keine Entschuldigung. Glaube mir, ohne mich, ohne meinen
verrückten Plan, hätte Rolozko sich niemals derartig provozieren lassen. Neben
all den geschäftlichen Problemen und Differenzen mit seinen Partnern darfst du
eins nicht vergessen. Rolozko liebte mich, auf seine Art. Dasselbe glaubte er
von mir. Noch nie hatte er, außer seinem Vater vielleicht, einem Menschen
derartig vertraut. Als er erkannte, wie ich ihn reingelegt, welch falsches
Spiel ich mit ihm getrieben hatte, war das wie ein Stich in sein bis dahin
unerschütterliches Selbstbewusstsein. Ihn, den großen, strahlenden, mächtigen
und ach so herrlichen Andrej Doran, geschäftlich hinters Licht zu führen, ist
eine Sache. Ihn in seinen Gefühlen zu verletzen eine ganz andere. Das bedeutet,
mein kleines Steinchen war ein riesiger Felsbrocken.« Carla drehte sich zu ihm
hin, ergriff seine beiden Hände. »Und, Ninus – das kann mir niemand verzeihen
–, ich habe alle Menschen, die mir nahe standen, die mich liebten, die mir
vertrauten, schamlos belogen und hintergangen. Angefangen mit meinem Vater,
meiner Schwester, ihrem Mann Wolfgang, Ströcker, Lena, Beppo und dich. Julia
wurde entführt, Lena schwer verletzt, gegen Beppo läuft ein
Ermittlungsverfahren, ebenso gegen Wolfgang – ich mag es gar nicht alles
aufzählen. Da kann mir niemand helfen. Ich werde zurück nach London gehen,
werde mich in die Arbeit stürzen und vielleicht ein wenig Ruhe finden …«
»Carla, Carla. Du darfst nicht
fortgehen. Nicht in dieser Verfassung und nicht jetzt. Ich meine …« Ninus war
aufgesprungen, lief im kleinen Kellerraum auf und ab. »Was ist mit mir?«, rief
er fast flehentlich. »Mit uns? Du kannst mich jetzt nicht einfach hier
zurücklassen. Mit all diesen Geschichten im Kopf und außerdem …«
Jetzt stand Carla auf und stellte
sich vor Ninus. Was für Augen, dachte er. Grundtief verletzt, voller Trauer und
– vielleicht täuschte er sich – schimmerte da nicht etwas Hoffnung hindurch?
»… außerdem liebe ich dich!« Jetzt
war er heraus. Der kurze Satz mit den drei Wörtern, von denen er bis vor Kurzem
gedacht hatte, sie nie wieder aussprechen zu können. »Ja, verdammt, ich habe
mich in dich verliebt. Direkt am Flughafen, als du ankamst. Ich werde dich
nicht einfach gehen lassen.«
Carla schaute nach unten. Lange,
viel zu lange, dachte Ninus. Langsam hob sie den Kopf, blickte ihm in die
Augen. Eine kleine Träne kullerte die Wange entlang, mit der rechten Hand griff
sie sich ans Ohrläppchen. Sie lächelte. »Ich dich doch auch.«
E N
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