Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Sonnenkoenig

Sonnenkoenig

Titel: Sonnenkoenig Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Richard Lifka
Vom Netzwerk:
›Schön, Sie zu sehen‹ oder ›Ja, heute ist es
besonders schwül‹. Wie sie das anödete.
    Der Höhepunkt des Abends stand
an. Bruno Burow bedeutete den Musikern innezuhalten und begann seine Ansprache.
Dieses Bild des Vaters prägte sich Carla tief ein. Wie präsent er dort oben
stand, das Champagnerglas elegant zwischen Daumen, Zeige- und Mittelfinger
geklemmt, und eine witzige, lockere Rede hielt, täuschte Carla nicht darüber
hinweg, wie einsam und resigniert ihr Vater im Grunde war. Obwohl von Freunden,
Bekannten und Kollegen umringt, die ihn überschwänglich beglückwünschten,
wirkte er auf Carla sehr einsam und verlassen.
    Sicherlich hatte zu seiner
dunklen Stimmung das Fernbleiben ihres Bruders Paul einiges beigetragen. Auch
ihre Schwester Julia war nicht gekommen. Dies hatte Bruno sehr deutlich
formuliert, als sie mit ihm und Agneta einige Stunden vor dem großen Fest bei
Kaffee und Kuchen im Salon privat zusammengesessen hatten. Die Bezeichnung
familiäres Beisammensein kam Carla nicht in den Sinn. Bruno hatte es immer
verstanden, bewusst oder unbewusst, ein stinknormales Frühstück zu einem
Staatsakt zu gestalten. Seine Distanziertheit, sein kühles Agieren und seine
emotionsfreien Kommentare ließen nie eine vertraute Atmosphäre im Hause Burow
aufkommen. Ein Diplomat vom Scheitel bis zur Sohle, bei Tag und bei Nacht.
    Als nach ihrem Vater bedeutsame
Menschen die Bühne betraten, um wichtige Worte zu sprechen und schwungvolle
Reden zu halten, schweiften Carlas Gedanken ab. Ihr Anruf gestern Morgen in
Wiesbaden hatte sicherlich eine Lawine losgetreten und sie war sich nicht
sicher, ob sie am Ende nicht selbst darunter begraben sein würde.

     
    Das Flugzeug kippte
in eine extreme Rechtslage, der Flügel zeigte jetzt gen Himmel und Carla
vermochte sich des Eindrucks nicht erwehren, für immer in grauem Dunst
eingeschlossen zu sein. Ihre Schläfen fingen an zu pochen und sie spürte
steigenden Druck in den Ohren. Ein Steward forderte die Passagiere auf, sich
anzuschnallen, die Sitze aufrecht zu positionieren … und das Rauchen
einzustellen, ergänzte sie im Stillen den lange nicht mehr notwendigen Zusatz
der Landevorbereitungsfloskel. Für sie war das absolute Rauchverbot weder beim
Fliegen noch in Restaurants oder Bars ein Problem, da sie nie wirklich geraucht
hatte. Klar, in der Schulzeit, in der Disco oder bei den ersten zaghaften
Verabredungen mit Jungs war gequalmt worden. Wie hatte sich ihr Vater
aufgeregt, als er bei seiner 14-jährigen Tochter ein Päckchen Marlboro gefunden
hatte. Das war – Carla musste kurz nachdenken –, richtig, das war in
Barcelona, eine von vielen Hauptstädten dieser Welt, in denen sie eine Zeit
lang, meist drei bis vier Jahre, gelebt, besser gesagt, Zwischenstation gemacht
hatten.
    Freilich steckte sie sich auch
heute noch ab und zu einen Glimmstängel an, müssen musste sie jedoch nicht.
Ganz im Gegensatz zu Johannes, der richtiggehend gelitten hatte, wenn sein
Körper für mehrere Stunden kein Nikotin zugeführt bekam.
    Johannes! Immer öfter vergaß sie
ihn, konnte ihn sich kaum noch vorstellen. Johannes entschwand ihr, verblasste
Pixel um Pixel, war kaum noch in ihren Gedanken und – ihrem Herzen. Nach zehn
Jahren sicherlich normal, redete sie sich ein. Dennoch. Alles, was sie momentan
unternahm und plante, war für ihn, geschah in der Absicht, den an seinem Tod
Schuldigen zu bestrafen, ihn leiden zu lassen, ihn zu vernichten.
    Ein Ruck ging durchs Flugzeug,
der Luftwiderstand des herausgeklappten Fahrwerks reduzierte die
Gleitgeschwindigkeit noch mehr. Carlas Gedanken wirbelten erneut durcheinander.
Reiß dich zusammen, brüllte sie sich innerlich an. Es ist alles vorbereitet,
die ersten, richtigen Schritte getan. Es gibt kein Zurück. Bei dieser
Selbstzurechtweisung hatte sie sich heftig bewegt. Ihr Nachbar, ein älterer
Asiate, der fast den gesamten Flug geschlafen und nicht gerade leise
geschnarcht hatte, drehte sich besorgt zu ihr hin und fragte, ob alles in
Ordnung sei. Sie nickte kurz und hob beschwichtigend die Hand. In diesem Moment
setzten die Räder mit einem heftigen Schlag auf, die Maschine wurde förmlich
durchgeschüttelt, als gleichzeitig gebremst und der Umkehrschub eingeschaltet
wurde. Wenige Sekunden später rollte der Riesenvogel sanft und majestätisch
über die Betonpiste und suchte sich seine angewiesene Parkposition.
    Carla blieb sitzen, bis sich das
Flugzeug gänzlich geleert hatte. Sie hatte noch nie kapiert, warum die
Menschen,

Weitere Kostenlose Bücher