Sonnenlaeufer
hatte.
»Er ist doch nicht verletzt, oder?«, erkundigte sie sich so besorgt wie eine gute Mutter. Aber in ihren scharfen, dunklen Augen lag keine Zärtlichkeit.
»Nicht sehr. Eine Wunde an der Schulter und ein schmerzender Kopf. Er gehört ganz Euch, Prinzessin. Macht mit ihm, was Ihr wollt.«
»Genau das ist meine Absicht.« Sie winkte ihre Damen herbei. Diese ließen den Prinzen zu Boden gleiten, und zwei Männer mit einer Trage eilten herbei. Als Rohan in die Burg getragen wurde, fiel Ianthes Blick auf den Knaben. »Wer ist das?«
»Ich würde sagen, sein Knappe. Farid starb bei dem Kampf. Ich dachte mir, Ihr hättet nichts dagegen, aber Kinder töte ich nicht.«
»Soso, du hast also Prinzipien. Wie interessant. Nimm den Knebel fort. Ich will hören, was er zu sagen hat.«
Steif von einer langen Nacht und einem noch längeren Tag, den er über den Sattel gebunden zugebracht hatte, erhitzte sich das Blut des Knaben sofort, als er Gelegenheit bekam, seiner Wut Luft zu machen. Er spuckte auf den Boden, als das Tuch aus seinem Mund entfernt wurde, und spuckte dann noch einmal, diesmal auf Ianthe.
Mit wütendem Gesicht trat sie einen Schritt zurück. »Versuch das nicht noch mal, Bursche! Wie heißt du?«
Er biss stur die Zähne zusammen und funkelte sie an.
»Sprich, solange du noch eine Zunge hast, um das zu tun!«
Die grünen Augen wurden groß, aber er sagte nichts.
»Das sind nicht Rohans Farben, die du da trägst«, murmelte Ianthe nachdenklich. »Das Blau und das Silber ja, aber das Schwarz und das Grün …« Mit einem Finger tippte sie an ihre makellose Wange und fing dann an zu lachen. »Oh, ich hätte es an den Augen sehen müssen! Du bist mit der Lichtläuferin verwandt, mit dieser Hexe! Ein Verwandter aus River Run!« An Beliaev gewandt sagte sie: »Wie klug von dir, ihn nicht zu töten. Er wird mein Bote sein. Weißt du, was du Sioned erzählen wirst, Bürschchen?«, wandte sie sich mit einem boshaften Lächeln wieder an den Knappen. »Dass eine ganze Armee von Lichtläufern ihren kostbaren Prinzen nicht mehr zu ihr zurückholen kann, nicht einmal mit Andrade an der Spitze, und nicht einmal, wenn sie vor meinem Vater, dem Hoheprinzen, auf die Knie fällt. Rohan gehört jetzt mir, Kleiner, wie es von Anfang an hätte sein sollen. Ich werde dir deine Zunge wohl doch noch lassen, damit du Sioned genau erzählen kannst, was du zu sehen bekommen hast, während du hier warst.«
»Sie wird Euch umbringen!«, platzte der Knabe los.
»Eine Faradhi , töten? Niemals! Sie hat nicht den Mut. Keiner von denen. Mit mir ist das etwas anderes. Das wird dein Prinz schon sehr bald feststellen. Beliaev, sorg dafür, dass der Bursche gesäubert und gefüttert wird. Ich will, dass er für seine Reise zurück nach Stronghold in guter Verfassung ist.«
»Was werdet Ihr mit meinem Herrn machen?«, schrie der Knabe auf.
»Dinge, die dich erst interessieren, wenn du älter bist«, lachte sie. »Aber ich lasse dich vielleicht zuschauen, damit du etwas lernst – und damit du der Hexe genau beschreiben kannst, wie hier für ihren Geliebten gesorgt wird.«
Sie rauschte die Treppe hinauf und rief nach ihren Damen, damit sie sich um die Wunden des Prinzen kümmerten. Beliaev, der endlich begriff, was sie wirklich von Rohan wollte, erinnerte sich an die Drachen-Teppiche und war auf einmal sehr froh, dass sie nicht in Gedanken an ihn gestickt worden waren.
Kapitel 22
Kleve hatte vierzehn seiner vierundvierzig Jahre damit verbracht, die nördlichen Prinzentümer zu bereisen, begleitet nur von zwei ausdauernden Bergponys. Das einsame Leben eines reisenden Faradhi gefiel ihm; er mied jeden Ort, der größer als ein Dorf war, mit demselben Eifer, wie er es vermied, Wasser zu überqueren. Aber in jedem Frühjahr verbrachte er ein wenig Zeit in Tiglath und genoss die Gesellschaft einer gewissen Gastwirtswitwe. Er beglückwünschte sich selbst zu seinem Entschluss, sein Leben fern von Mauern und Städten zu verbringen.
Kleve zeigte sich wie immer auch an Lord Eltanins Hofe, in dessen Palast aus sonnengelbem Stein. Es war ein trauriger Hof seit dem Tod der reizenden jungen Lady Antalya. Kleve erwartete, dass Seine Lordschaft ihn wie üblich auffordern würde, Kontakt mit Prinzessin Sioned aufzunehmen, mit Berichten, die zu heikel waren, um sie dem Pergament anzuvertrauen, und die geheim zu halten er sich durch seinen Faradhi -Eid verpflichtet hatte. Doch Eltanin, dessen Gesicht von tiefen Falten durchzogen war, die ihn
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