Sonnenlaeufer
Flammen.
Draußen auf den Stufen suchte Sioned verzweifelt nach Tobins kleiner, weißgewandeter Gestalt und sah sie durch die Menge auf die Tore zulaufen. Das Kind lag eingewickelt in einem Bündel an ihrer Brust. Der Hof stand in Flammen. Die Gebäude stürzten ein. Rauch stieg aus den Fenstern der Burg. Bis zum Morgen würden von Feruche nur noch qualmende, schwarze Steine übrig sein.
Jemand stieß mit Sioned zusammen. Seine Kleider brannten. Von ihrem Feuer. Sie hätte Ianthe damit getötet und noch gelacht, aber dieser Mann war nicht ihr Feind. Das Inferno würde Feruche vernichten, und sie konnte nichts für diejenigen tun, die darin in der Falle saßen, aber diesen Mann konnte sie retten. Konnte sich davor bewahren, dass sie ihn getötet hatte. Sie stieß ihn aufs Pflaster, warf sich auf ihn, um die Flammen zu ersticken. Stiefelabsätze stießen an ihr Bein und zerquetschten ihre Fingerspitzen. Sie schluchzte vor Schmerz in den Nacken des Mannes und erbat seine Vergebung. Sie roch sein verbranntes Fleisch und ihr eigenes versengtes Haar. Aber dann regte er sich unter ihr, stöhnte und versuchte kraftlos, sie von seinem Rücken zu stoßen. Kräftige Hände halfen ihr auf und stellten sie auf die Füße.
»Sioned! Beeil dich! Er wird sich erholen. Ich verspreche dir, er wird wieder gesund.«
Sie konnte anscheinend nicht aufhören zu weinen. Selbst als sie den Mann auf die Füße zog und ihm einen Stoß zu den Toren hin versetzte, als sie ihn dann nach draußen taumeln sah, stockte der Atem in ihren Lungen, und sie wiederholte nur immer wieder: »Es tut mir leid – es tut mir ja so leid …«
»Ich weiß«, vernahm sie Ostvels tiefe, traurige Stimme. Seine Arme legten sich für eine kurze, heftige Umarmung um sie. Dann sagte er: »Komm, sonst verlieren wir Tobin und das Baby.«
Sie klammerte sich an ihn, als er ihnen einen Weg durch diese Feuersbrunst bahnte, die sie hervorgerufen hatte. Die Haupttore waren ein Ring aus Feuer, durch den die entsetzten Menschen sprangen, um ihr Leben zu retten. Sioned holte vorsichtig Atem, schluckte rauchschwere Luft und folgte Ostvel. Sie blickte noch einmal über ihre Schulter. Flammen quollen jetzt aus dem Schloss. Heiß und tödlich. Feruche starb ihretwegen; vielleicht würden ihretwegen sogar Menschen sterben.
Sie fuhr sich mit einem Ärmel über die schweißnasse Stirn und die brennenden Augen und wimmerte, als der Stoff an ihrer verbrannten Wange riss. Aber so hatte es doch nicht sein sollen, dachte sie, und Panik zog ihre Brust zusammen. Das Mal ihres eigenen Feuers in ihre Schulter gebrannt. Das hatte sie gewusst. Aber in ihrer Vision hatte sie Narben auf ihrer Stirn gesehen. Aber nicht eine auf ihrer Wange.
»Ostvel, so sollte es nicht geschehen! So nicht!«
»Was, im Namen der Göttin, hast du denn erwartet?«, krächzte er und zog sie mit sich von den brennenden Burgmauern fort.
»Nicht so etwas!« Sie riss sich los und starrte mit großen Augen in die Flammen, eine Hand an der Wange, um das Brennen zu fühlen, das ihr neue Tränen in die Augen trieb. »Es sollte ein Feuer geben – aber nicht so! Ostvel, wie viele habe ich getötet?«
Er drehte sie an den Schultern und nahm dann ihren Kopf zwischen seine Hände. »Fang nicht erst damit an«, befahl er rau. »Ich werde nicht zulassen, dass du auch nur einen einzigen dieser Toten auf dich nimmst. Hörst du mich, Sioned?«
»Es war mein Feuer! Gütige Göttin, was habe ich getan?«
»Frag dich das, wenn wir in Sicherheit sind! Sioned, ich werde dich niederschlagen und tragen, wenn es sein muss. Aber jetzt beweg dich endlich!«
Es war ein langer Weg bis zu der Stelle, wo sie die Pferde angebunden hatten. Jemand hatte sie gestohlen. Tobin wartete dort auf sie. Sie ging im Schatten auf und ab und versuchte das verängstigte Baby zu beruhigen. Sioned nahm ihren Sohn in ihre Arme. Sie wurde von stummen Tränen geschüttelt.
Es war Tobin, die vorschlug, in der verlassenen Garnison unterhalb der Burg Schutz zu suchen. Die meisten anderen Flüchtlinge zogen auf der Hauptstraße weiter, die durchs Veresch in die Prinzenmark führte. Das brennende Schloss erhellte die Nacht und die Menschen um sie her und zeigte Sioned dabei Verletzungen, die schwerer waren als ihre eigenen. Ostvel fragte eine Dienerin, ob jemand in den Flammen gefangen worden sei, und erhielt nur ein dumpfes Achselzucken zur Antwort.
»Nicht, dass ich wüsste. Die meisten waren draußen im Hof und tranken auf die Prinzessin und ihren neuen
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