Sonnenlaeufer
füllte seine Lungen, als könnte er sie anrufen und würde gehört werden. Doch im nächsten Augenblick fiel ihm ein, was ihr Flug bedeutete.
Am selben Abend jubelten die Vasallen in der Halle, Rohan beobachtete sie vom Tisch aus. Er trank zu viel Wein und schob das Essen auf seinem Teller herum. Das sollte die letzte Jungtierjagd sein, schwor er sich. Was bedeutete es schon, ein Prinz zu sein, wenn man nicht hin und wieder einen Befehl erteilen konnte? Er hörte zu, wie seine Vasallen Wetten abschlossen, wer die meisten der schlüpfenden Drachen töten würde, und ihm wurde übel. Konnten sie denn nicht verstehen, dass etwas so Schönes wie ein Drache frei fliegen sollte, wie die Göttin es offensichtlich beabsichtigt hatte?
Der nächste Tag zog kühl und prachtvoll herauf. Rohan begrüßte ihn mit gerunzelter Stirn und nahm zögernd seinen Platz an der Spitze der Jagdgesellschaft ein. Er konnte fühlen, wie sich Blicke wie dünne Messer in seinen Rücken bohrten. Seine Vasallen waren unsicher, was ihn anging, und seine offensichtliche Missbilligung ihres Sportes verunsicherte sie nur noch mehr. Dass er bewusst dazu beigetragen hatte, ihre Zweifel zu wecken, bedeutete keinen Trost. Dass er von der Tradition zu diesem Gemetzel alle drei Jahre gezwungen wurde, ärgerte ihn; der strahlendblaue Himmel und der im Sonnenschein funkelnde Sand waren eine Beleidigung für seine düstere Stimmung, und er hasste sich noch mehr, als er feststellte, dass sich seine Gefühle auf sein Pferd übertrugen. Das Tier bewegte sich unruhig zwischen seinen Schenkeln, und es erforderte Rohans ganzes Geschick, den Hengst im Zaum zu halten.
Jahni und Maarken hatten die Ehre, zwischen ihrem Vater und ihrem Prinzen an der Spitze der Jagd zu reiten. Die beiden Knaben plapperten vor Aufregung unaufhörlich, hüpften in ihren Sätteln und trieben ihre Ponys an. Jahni quälte Rohan mit Fragen darüber, wie viele Krallen und Zähne sie sammeln durften, und Maarken beklagte sich wohl zum hundersten Mal, dass ihr Vater ihnen streng verboten hatte, mit den anderen Jägern den Canyon zu betreten. Chay ertrug die Tiraden seiner Söhne lange mit gewohnter Geduld, bis sie einmal zu oft den Mund öffneten.
»Wenn ihr schon eurem Vater nicht gehorcht, dann lasst wenigstens den Prinzen in Ruhe«, bellte er. »Habt ihr vergessen, was er euch gestern Abend gesagt hat?«
In der – richtigen – Annahme, dass von ihm erwartet wurde, dass er seine Warnung wiederholte, sagte Rohan: »Ich muss euch doch wohl nicht erst daran erinnern, wie gefährlich das alles werden wird? Wenn ihr beiden nicht eure Pferde zügelt und eure Zungen zurückhaltet, dann könnte es mir leidtun, dass ich euch überhaupt mitgenommen habe.«
Diese unerwartete Strenge von Seiten ihres gutmütigen Onkels, den sie so sehr bewunderten, brachte beide Knaben für eine Weile zum Schweigen. Schließlich warf Maarken Rohan einen Blick von der Seite zu und murmelte: »Vorher hat es mit dir viel mehr Spaß gemacht.«
Das ganze Leben hatte vorher viel mehr Spaß gemacht, sagte sich Rohan wütend. Er hatte geglaubt, sich aller Schwierigkeiten bewusst zu sein, denen er sich als herrschender Prinz gegenübersehen würde. Aber das waren so viele, auf die er nicht vorbereitet gewesen war, er war so unerfahren – schon wieder dieses verfluchte Wort! Er drehte sich im Sattel um, als einer der Vasallen mit einem Ruf auf ein Drachenweibchen am Himmel deutete. Rohan sah nicht wie die anderen nach oben, denn sein Blick war plötzlich auf Sioned gefallen. Er fühlte, dass sich seine Kiefermuskeln anspannten, und blickte schnell wieder nach vorne. Doch ihr Bild, ihre braune Reitkleidung, der Knoten ihres hellen Haares im Nacken, die zarten Linien ihrer Wangen und ihrer Stirn waren in ihn eingebrannt. Sie erwartete sicher, dass er dafür sorgte, dass sie eine Zeitlang alleine waren, und er konnte an nichts anderes denken als daran, wie er ihr aus dem Weg gehen konnte.
Die Jagdgesellschaft blieb stehen, um dem grünlich-bronzenen Drachen nachzusehen, der durch die Lüfte schwebte, die Schwingen ausgebreitet, so dass die glänzende, schwarze Unterseite enthüllt war. Chay blinzelte nach oben und murmelte: »Ist sie nicht eine Schönheit? Ich glaube, ich habe diese Farbe nur zwei oder drei Mal gesehen.«
»Wird sie uns angreifen?«, fragte Jahni, halb ängstlich, halb kampflustig.
»Nein, die interessiert sich nicht für uns«, antwortete Rohan. Der Drache schlug kräftig mit den Flügeln und änderte
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