Sonnenlaeufer
seinem Pferd die Fersen in die Flanken und galoppierte in die Schlucht hinein, denn er fühlte sich außerstande, den Ausdruck in Sioneds Augen zu ertragen. Er hörte, dass ihm ein anderes Pferd folgte, und zügelte seinen Hengst. Aber es war Andrade, die an seine Seite ritt, nicht Sioned.
»Was hast du zu Sioned gesagt? Wie sehr du hasst, was heute hier geschieht? Aber es hilft überhaupt nichts, wenn du deine Wut an ihr auslässt. Es ist nicht so schön, wie man meinen könnte, ein Prinz zu sein, hmm?«
»Nein.« Er konnte die Jagd mit einem einzigen Wort beenden. Niemand würde seinen Befehl missachten. Er war ihr Prinz. Das Wissen, dass er alles anordnen konnte, was er wollte, erschreckte ihn, ohne dass er einen wirklichen Grund dafür hätte nennen können. »Welches Recht habe ich schon?«, platzte es aus ihm heraus. »Warum habe ich all diese Macht und nicht jemand anders? Was macht mich so besonders? Und komm mir nicht mit dem Zufall der Geburt. Das war kein Zufall, und wir wissen es alle beide.«
»Ich habe mich schon seit längerem gefragt, wie viel du darüber weißt«, erwiderte sie ruhig. »Es war nicht allein mein Tun. Oh, ich habe Milar vielleicht mit Zehava zusammengebracht, aber keiner von beiden musste gedrängt werden.«
Schrille Schreie ertönten jetzt, als die ersten Jungdrachen aus ihren Höhlen kamen und starben. Der Geruch von Blut erfüllte die warme Luft.
»Mein Vater hatte einen bestimmten Mann für mich im Sinn«, fuhr Andrade fort. »Ich lehnte ihn ab. Also war es an Milar. Sie hatte die Gabe, hat sie aber niemals eingesetzt. Sie hat sie an Tobin weitergegeben, und ich vermute, du wirst sie an deine Kinder vererben, verstärkt durch Sioned. Wenn du eine größere Bestimmung suchst, Rohan, die gibt es nicht. Mein Vater und ich wollten dasselbe: Unsere Familie sollte mächtig sein.«
Es steckte mehr dahinter, und er wusste es, aber etwas anderes beunruhigte ihn im Moment mehr. »Wenigstens hast du meinem Vater eine Jungfrau geschickt, keine Faradhi Hure«, stieß er verbittert hervor.
Andrade hielt den Atem an. »Du junger Narr«, zischte sie. »Wenn es das ist, was du in Sioned siehst, dann wünsche ich dir viel Spaß in eurem gemeinsamen Leben. Du hast das Feuer zwischen euch entzündet, und es bleibt dir überlassen, ob du dich daran wärmen willst oder deine Seele damit verbrennst.«
Er trieb sein Pferd wieder an, und diesmal folgte sie ihm nicht. Der Morgen verstrich, und das Gemetzel ging weiter. Manchmal schwebte ein kleiner, verängstigter Schatten durch die Schlucht davon, und Rohan freute sich, dass wenigstens ein paar Drachen in die Freiheit flogen. Es gab lange Perioden fast völliger Stille, während der die Jäger darauf warteten, dass die Drachen die Mauern niederbrachen, aber als immer mehr Höhlen geöffnet wurden, war die Luft von Schreien und Tod erfüllt. Einer von Rohans älteren Vasallen, Abidias von Schloss Tuath, kletterte zu seinem Pferd herab. Die Hitze war zu viel für ihn. Von seinem Sattel hing ein Leichnam von der Größe eines vierjährigen Kindes.
»Der wird meine Schafe im nächsten Jahr nicht verschlingen!« Fast liebevoll tätschelte er den kleinen Körper. Es war ein rötlicher Drache mit schwarzen Schwingenunterseiten. »Ich werde die Haut gerben und seine Krallen und Zähne an meine Kriegsausrüstung hängen.«
Hass pochte schmerzhaft in Rohans Schädel, Hass auf dieses Spektakel und auf sich selbst, denn letztendlich war er dafür verantwortlich. Er fühlte jeden Todesschrei wie ein Schwert in seinem Herzen. Und er konnte nichts tun.
Er wirbelte wütend herum, als er Sioneds Stimme erkannte. Wie lange hatte sie ihn beobachtet – und wie konnte sie es wagen, hier einzudringen? Doch das Entsetzen auf ihrem Gesicht wischte seinen Zorn sofort beiseite. Sie deutete auf die Wand der Schlucht. Hoch über ihnen befand sich eine kleine Höhle. Das Sims davor war schmaler als die meisten anderen. Schatten fielen von den überhängenden Felsen, so dass er nicht erkennen konnte, ob es sich um eine von Drachen gemachte Wand handelte. Aber er sah ganz deutlich zwei kleine Gestalten, die sich an dem Sims festklammerten. Jahni und Maarken hatten sich hochgezogen und blickten nun auf Rivenrock herab.
Rohan brüllte den Knaben etwas zu, während er vom Pferd sprang, aber Drachengeschrei und Menschenrufe hallten zu laut durch die Schlucht, und so konnten sie ihn nicht hören. Er fing an, emporzuklettern, suchte Halt in dem lockeren Gestein und hörte, dass
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