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Sonnenlaeufer

Sonnenlaeufer

Titel: Sonnenlaeufer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Melanie Rawn
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Herr.« Nachdem er erneut salutiert hatte, setzte der Mann seine Runden fort.
    Rohan dachte an das letzte Rialla , bei dem er weit weniger formell beobachtet worden war und bei dem die Aufmerksamkeit in erster Linie seinem Vater gegolten hatte. Er konnte nicht mehr länger dorthin gehen, wohin er wollte; von nun an würden aller Augen auf ihm ruhen, würden seine Bewegungen beobachtet, seine Worte untersucht, jede einzelne seiner Gesten kommentiert werden. Er fühlte sich plötzlich bedrückt, drehte sich um und machte sich auf den Weg zum Fluss hinab.
    Er stand am Ufer und betrachtete das schwarze Wasser. Noch waren die Monde nicht aufgegangen, und das Sternenlicht schimmerte nur schwach zwischen den Wolken. Auf dem gegenüberliegenden Ufer zauberten Bäume dunklere Schatten, und eine Brise hauchte durch die Blätter, Antwort auf das leise, unaufhörliche Gemurmel des Flusses. Rohan schauderte als Reaktion auf die Andeutung von Herbst in der Luft und rieb sich die Hände, damit sie warm wurden. Er war für diese Orte nicht geschaffen, sagte er sich, Orte mit einem sorglosen Überfluss an Wasser, an denen man mühelos ernten und Vieh züchten konnte. Er war in der knochentrockenen Hitze der Wüste aufgewachsen, in dem harten Winterwind jenseits des Weiten Sandes, der einem Mann das Fleisch von den Knochen peitschen und sein Skelett spurlos vergraben konnte. Selbst die Drachen suchten mildere Zonen auf – um sie kahlzufressen. Wieder schauderte Rohan, aber diesmal nicht vor Kälte, ehe er sich umwandte, um den Rückweg zu seinem Zelt anzutreten.
    Diese leichte Bewegung rettete ihm das Leben. Einen Fingerbreit von seinen Rippen entfernt zischte plötzlich ein Messer durch die Luft. Augenblicklich fiel er auf die Knie, ein Messer in der Hand, und suchte die Dunkelheit ab. Eine zweite Klinge zischte an ihm vorbei, verfehlte seinen Kopf um eine Handbreit, und er verfluchte sein helles Haar, das selbst in einer mondlosen Nacht noch leuchtete. Die nächste Deckung war zwanzig Schritte entfernt oben am Hügel. Er konnte nichts anderes tun, als ein Schatten unter anderen zu werden.
    Ein Vogel zwitscherte, und einige kleine Tiere piepsten wütend, als ihr Nest zerstört wurde. Rohan blieb wie angewurzelt stehen und lauschte. Als es wieder ruhig wurde und nichts außer dem Fluss zu hören war, zwinkerte er den kalten Schweiß der Anspannung aus seinen Augen und kam langsam auf die Füße.
    Obwohl er jetzt ein leichtes Ziel bot, gab es keine weiteren Messer mehr. Er wartete einen Moment und suchte dann das Flussufer ab. Eine schmale Klinge war in den Schlamm eingesunken, in einem Winkel nach unten, weil der Mörder damit gerechnet hatte, dass Rohan sich zur Verteidigung duckte. Er zog das Messer heraus und fuhr mit dem Finger über die feine, glatte Klinge. Ihm stockte der Atem. Diese hier war nicht aus Cunaxa-Stahl, sondern aus Glas.
    Er verbarg das Messer zusammen mit seinem eigenen oben in seinem Stiefel und kehrte in sein Zelt zurück. Walvis döste in einer Ecke nahe der Lampe. Rohan hielt das Glasmesser ans Licht. Die charakteristische Kerbe bedeutete keine Überraschung für ihn. Sie diente dazu, das Messer im Fleisch des Opfers zu verhaken, falls es versuchte, die Klinge herauszuziehen. Der Schaft war mit einem schmalen Streifen aus braunem Leder umwickelt, die Klinge bestand aus grünem Glas. Ein hartes Lächeln stahl sich auf Rohans Gesicht, und er versteckte das Messer tief unten in seinen Satteltaschen, wo sein Knappe es nicht finden würde.
    So, die Merida wollten ihn also warnen, dachte er, als er sich in seine Decke wickelte und sich zum Schlafen niederlegte. »Merida« bedeutete »sanftes Messer« in der alten Sprache – sanft, weil die scharfen Glasklingen so schnell und todbringend waren wie Stahl. Die Merida hatten Macht erlangt, weil sie als eine Gilde von Mördern Ruhm erlangt hatten, bekannt für ihr Geschick und ihr Schweigen. Rohans Tod wäre für sie hübsch gewesen, aber nachdem das nicht geklappt hatte, hatte das Messer ihm wenigstens gezeigt, dass sie nicht fern waren. Sie wollten ihn nervös und misstrauisch sehen und hofften, dass er dann Fehler machen würde. Wieder lächelte Rohan und streckte sich unter seiner Decke aus. Dieses neue Problem kam noch zu all den anderen hinzu. Erregung wallte in seinem Blut, Eifer angesichts der bevorstehenden Witz- und Nervenschlachten. Wenn die Merida beabsichtigt hatten, ihn zu erschrecken, dann war ihnen das gründlich misslungen.
    Oben auf dem Berg zügelte

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