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Sonnenschein oder wie mir das Leben den Tag versaute

Sonnenschein oder wie mir das Leben den Tag versaute

Titel: Sonnenschein oder wie mir das Leben den Tag versaute Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jochen Till
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alles liebt und verehrt und alles für sie tun würde? Warum küssen sie Jungs, denen ein Kuss nichts bedeutet? Warum wälzen sie sich mit wildfremden Idioten auf dem Boden herum, wenn einer da ist, der ihnen sein Leben schenken würde? Warum tun Mädchen das?«
    »Ich weiß nicht, warum sie es getan hat.«
    »Wer?«
    »Das Mädchen, wegen dem du hier bist.«
    »Ich will nicht mehr an sie denken. Aber es ist so schwer, nicht an sie zu denken.«
    »Und du glaubst, du könntest sie hier vergessen?«
    »Ich dachte, es würde irgendwie helfen.«
    »Du kannst es immer noch ausprobieren.«
    Nein, das konnte ich nicht, nicht mehr. Es würde doch nichts ändern, das wusste ich jetzt. Kelly und die Traurigkeit würden sich nicht einfach so wegficken lassen. Schon gar nicht mit einem Mädchen, das darüber Bescheid wusste.
    »Was würde es kosten, wenn du mich einfach nur eine Weile im Arm hältst und mir sagst, dass alles gut wird?«
    »Hm, da muss ich erst mal nachdenke n … Einmal im Arm halten und ›Alles wird gut‹ sagen? Das steht nicht im Tarifvertrag. Ich fürchte, ich kann dir dafür nichts berechnen. Ist das okay für dich?«
    »Ja, ich denke, damit kann ich leben.«
    Sie nahm mich in den Arm und drückte meinen Kopf an ihre Brust.
    »Alles wird gut«, flüsterte sie. »Alles wird gut.«
    Meine Mutter hatte das früher immer zu mir gesagt, wenn ich hingefallen war oder eines meiner Spielzeuge zu Bruch ging. Es hatte immer geholfen. Fünf Minuten »Alles wird gut« in ihren Armen und die Welt war wieder in Ordnung.
    »Besser?«
    »Ja.«
    Ein bisschen. Zwar nur ein winziges kleines bisschen, aber besser.
    »Halte ich dich nicht von de r … Arbeit ab?«, fragte ich.
    »Das ist nicht so schlimm. Du kannst ruhig noch ein bisschen hierbleiben.«
    »Ich will nicht, dass es Ärger gibt.«
    »Ärger? Mit wem?«
    »Mit deine m … Aufpasser?«
    Sie lachte wieder.
    »Du meinst meinen Zuhälter? Ich habe keinen Zuhälter. Ich arbeite für mich.«
    »Ich dachte nur, wei l …«
    »Du guckst zu viel fern. Es ist schon lange nicht mehr so, dass jedes Mädchen einen Zuhälter hat. Manche schon, aber nicht alle.«
    »Das ist gut. Dann muss ich auch keinem die Eier wegschießen.«
    »Was?«
    »Ach nichts.«
    Ich blieb bestimmt noch eine halbe Stunde mit dem Kopf an ihrer Brust liegen. Ihr »Alles wird gut« wurde leiser und leiser und dann war sie eingeschlafen. Ich löste mich vorsichtig aus ihrer Umarmung und zog meine Jacke an. Sie sah so hübsch und unschuldig aus, wie sie so auf dem Bett lag. Ich kannte nicht einmal ihren Namen. Hoffentlich würde kein verdammter Freier mehr kommen. Sie sollten sie schlafen lassen. Sie war so nett zu mir gewesen. Bestimmt war nie jemand so nett zu ihr. Ich überlegte, ob ich ihr nicht doch 3 0 Mark neben ihr Bett legen sollte, aber ich wusste, sie würde es als Beleidigung auffassen. Ich schlich zur Tür und öffnete sie.
    »David?«
    Verdammt. Jetzt hatte ich sie doch geweckt.
    »Schlaf weiter«, sagte ich zu ihr. »Ich gehe jetzt.«
    »Vergiss dein Leben nicht, David«, murmelte sie.
    »Ich habe es hier fest in meiner Hand.«
    »Das ist gut. Pass gut darauf auf!«
    »Mach ich.«
    »Alles wird gut, Davi d … Alles wird gut.«
    Ich ging aus der Tür und schloss sie hinter mir.
    Ich war froh, es nicht mit ihr gemacht zu haben. Es hätte ja doch nicht geholfen.

neunzehn
    Das war’s. Ich gab mich geschlagen. Kelly und die Traurigkeit hatten gewonnen. Nichts kam gegen sie an. Morgen vielleicht, dachte ich. Heute nicht mehr. Das Einzige, was jetzt noch geschafft werden musste, war müde zu werden, und das war keine leichte Aufgabe. Wo ich einschlafen würde, war völlig egal, es durfte nur nicht mehr allzu lange dauern. Ein Schlafmittel wäre nicht schlecht. Ein starkes, am besten hochprozentig. Aber woher bekam ich um halb drei Uhr nachts noch etwas zu trinken? Sicher, es gab noch genug Kneipen und Bars im Bahnhofsviertel, aber ich wollte keine Menschen mehr sehen. Ich hatte verloren, und wenn ich verlor, war ich am liebsten allein. Eine Flasche Wodka und ein stilles Plätzchen, mehr wollte ich nicht. Ich stand immer noch vor dem Haus in der Taunusstraße, als mir wieder einmal jemand von hinten auf die Schulter klopfte. Auch das noch. Lieber Gott, dachte ich, lass es einen Straßenräuber oder einen Drogensüchtigen oder meinetwegen auch einen verdammten Amokläufer sein; bloß nicht jemanden, den ich kenne. Ich drehte mich um und sah einen völlig versifften, nervös zappelnden Jungen vor

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