Sonnenstürme
phantastischen Schiffes im Wasser vor ihm Gestalt annahm. Die Wentals trugen seine Gedanken und halfen dabei, maritime Geschöpfe beim Bau des Schiffes anzuleiten, von Plankton und Garnelen bis hin zu Riesen des Meeres.
Während die weiße Brandung an den Felsen schäumte, fühlte und organisierte Jess die Aktivitäten, die im tiefen Meer ebenso stattfanden wie in einzelnen Gezeitentümpeln. Mikrozellulare Tiere und winzige Korallenwesen verklebten Millionen von Sandkörnern, eins nach dem anderen, und auf diese Weise entstand eine Art organische Armillarsphäre. Schalentiere und kriechende wirbellose Geschöpfe sonderten Harz und perlmuttartige Filme ab, bedeckten damit die Knochen des Schiffsskeletts und verstärkten sie mit einer Emaille, die härter war als menschliche Zähne. Anschließend überzogen sie alles mit aus dem Meerwasser gewonnenen Metallen.
Gebogene Rippen kamen aus dem Wasser und wölbten sich nach innen, wie Finger, die sich um einen großen Ball schlossen, das Spielzeug eines Riesen. Korallen wuchsen weiter, kreuz und quer zwischen den Hauptstützen. Immer höher ragte das Schiff aus dem seichten Wasser und wirkte wie das Fossil eines Drachen, die Knochen abgenagt und halb im Riffwasser versunken. Jess beobachtete, wie es Tag für Tag Gestalt annahm und Masse gewann. Er spürte die Wental-Energie in seinem nackten Körper – die Möglichkeiten schienen endlos zu sein.
Roamer verstanden es meisterhaft, funktionsfähige Raumschiffe aus Dingen zu bauen, die andere Leute für Schrott hielten, und ihre Schiffe waren immer zuverlässig. Jess hatte ein Durcheinander aus Konfigurationen gesehen, die aus keinem Standardkatalog stammten, doch dieses Schiff – konstruiert von einer gewaltigen Armee aus Meeresgeschöpfen, angeleitet von einer Wasser-Entität, die nie menschliche Gestalt angenommen hatte – wirkte seltsamer als alles, was sich je seinen Blicken dargeboten hatte.
Die metallüberzogenen Korallenknochen formten Kurven und Schleifen, wie die Ringe der Breiten- und Längengrade an einem Globus. Rätselhafte Maschinen entstanden im Innern des Gerüsts und nutzten eine Energie, die nicht einmal Jess verstand.
Er bezog die Kraft des Lebens direkt aus dem Ozean, und deshalb verstrich die Zeit für Jess anders. Völlig still stand er beim Wechsel der Gezeiten, der weitere Geschöpfe brachte, noch mehr Arbeiter, noch mehr Material, und er beobachtete, wie das Schiff vor seinen Augen wuchs.
Schließlich, bei der Flut unter zwei Monden, war die runde Form des Gerüsts komplett.
Aus der Tiefe kam ein riesiges Tentakelwesen und brummte dumpf in einer Sprache, älter als die menschliche Zivilisation. Es richtete sich auf, und Wasser strömte über seine algenbesetzten Flanken. Das Ungeheuer wirkte so gewaltig und kräftig, dass es in der Lage zu sein schien, in seiner Umarmung ein Schiff der Hydroger zu zerdrücken. Mit einem großen milchigen Auge sah der Leviathan Jess an und richtete den Blick dann auf das reglose Wental-Sternenschiff.
Das Geschöpf hob drei Tentakel so dick wie Baumstämme und griff nach der Armillarsphäre. Jess beobachtete den Vorgang besorgt und fürchtete, dass das sorgfältig konstruierte Schiff beschädigt werden könnte. Aber die Wentals leiteten das Tentakelwesen. Mit sonderbar anmutender Vorsicht hob die Kreatur das Gerüst vom Riff, auf dem es entstanden war, und trug es zum tieferen Wasser, wo es versank.
Jess starrte auf das gekräuselte Wasser. »Und jetzt?«
Jetzt ist deine Transportblase komplett.
Da die Kraft der Wentals seinen Körper erfüllte, konnte Jess Wasser atmen. Eigentlich brauchte er gar nicht zu atmen – ein weiteres Zeichen dafür, dass er nun mehr war als ein Mensch. Kleine Wellen flüssiger Elektrizität flossen wie phosphoreszierendes Plankton unmittelbar unter seiner Haut, wie statische Funken, dazu bereit, auf alles überzuspringen, das er berührte.
Aufsteigende Blasen ließen die Meeresoberfläche brodeln, als die Luft aus dem Gerüst entwich. Dann versiegelten die Wentals das Schiff unter Wasser mit ihrer bindenden Kraft.
Jess trat zurück auf die trockenen Felsen, als sich die Fluten plötzlich donnernd teilten und der gewaltige Ball aufstieg. Das neue Schiff schwebte über dem unruhigen Meer, gefüllt mit dem Wasser des Ozeans, das die Wental-Energie enthielt. Es wirkte wie ein gewaltiger Regentropfen, von der Oberflächenspannung zusammengehalten.
Im Licht der beiden Monde und zahlreicher Sterne glänzte das Wasserschiff silbrig.
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