Sonnensturm
Reise zu vollenden. Dennoch
näherte er sich der Sonne mit ungefähr fünftausend Kilometern pro Sekunde, was die
Fluchtgeschwindigkeit der Sonne um ein Vielfaches übertraf:
Er war das schnellste große Objekt, das jemals das
Sonnensystem durchquert hatte. Während er der Wärme der
Sonne entgegenstrebte, wurde die Atmosphäre des
Jupiterartigen durch gewaltige Stürme aufgewühlt, und
Billiarden Tonnen der Atmosphäre wurden abgezogen und hinter
der fallenden Welt wie der Schwanz eines riesigen Kometen
nachgeschleppt.
Auf der Erde schrieb man das Jahr 4 vor Christus.
Wäre der Irrläufer indes im 21. Jahrhundert
erschienen, hätte das Spaceguard-Programm der Menschheit ihn
entdeckt. Spaceguard hatte seine Ursprünge in einem
NASA-Programm des 20. Jahrhunderts, mit dem alle großen
Kometen und Asteroiden auf Bahnen überwacht werden sollten,
auf denen sie mit der Erde kollidieren konnten. Die
Wissenschaftler der Organisation hatten viele Möglichkeiten
erörtert, eine sich nähernde Bedrohung abzulenken,
einschließlich Sonnensegel oder Atomwaffen. Während
solche Methoden vielleicht bei einem Asteroiden von der
Größe eines fliegenden Bergs funktioniert hätten,
wären sie bei einer Masse dieser Größenordnung ein Tropfen auf einem heißen Stein
gewesen.
Im Jahre 4 vor Christus gab es natürlich keine Raumwacht.
Die Welt der Antike kannte zwar seit den Tagen der alten Griechen
Linsen, war aber noch nicht auf den Trichter gekommen, zwei
Linsen zu einem Fernrohr zu koppeln. Aber es gab schon Menschen,
die den Himmel beobachteten, weil sie in seinem komplexen
Lichterspiel die Gedanken von Gott zu erkennen glaubten.
Im April dieses Jahres – über Europa, Nordafrika
und dem Nahen Osten sichtbar – näherte sich ein
großes neues Licht der Sonne. Für die Astrologen und
Astronomen, die jedes mit dem bloßen Auge wahrnehmbare
Objekt am Himmel viel besser kannten als die meisten ihrer
Nachkommen im 21. Jahrhundert, war der Jupiterartige eine grelle
Anomalie und eine Quelle der Faszination und der Angst.
Insbesondere drei Gelehrte beobachteten ihn ehrfürchtig.
Sie nannten sich selbst mag oder magoi, was
›Astrologen‹ bedeutet -Sterngucker. Und in den
letzten Tagen des Jupiterartigen, während er sich der Sonne
näherte und ein Morgenstern von immer strahlenderer Pracht
wurde, folgten sie ihm.
Der Planet durchbrach die dünne äußere
Atmosphäre der Sonne, die Korona. Nun lag der Stern selbst
ungeschützt vor ihm.
Der Jupiterartige war ein Planet mit einem Fünftel des
Sonnendurchmessers. Selbst mit solchen Geschwindigkeiten ging
eine Kollision zwischen zwei so riesigen Körpern
gemächlich vonstatten. Es dauerte eine volle Minute, bis der
Planet vollständig im Körper des Sterns versunken
war.
In normalen Zeiten ist die Oberfläche der Sonne ein fein
gewobener Teppich aus Granulen, und die darunter liegenden
Schichten sind riesige Konvektionszellen mit Wurzeln, die tief
ins Innere der Sonne reichen. Als der Jupiterartige einschlug,
wurde diese komplizierte hierarchische Struktur gestört, als
ob ein Baseball in eine Pfanne mit kochendem Wasser platschte.
Riesige Wellen gingen vom Einschlagpunkt aus und rollten um die
Krümmung des Sterns.
Zugleich wurde der Planet selbst in ein extremes Hitzebad
getaucht. Durch direkte Kollisionen zwischen dem Plasma der Sonne
und der Atmosphäre des Planeten strömte die Energie der
Sonne in diesen schamlosen Eindringling. Als Reaktion versuchte
der Planet verzweifelt, durch den Verlust eigener Substanz
Wärme abzuführen. Die oberen Schichten seiner
Atmosphäre, größtenteils Wasserstoff und Helium,
waren alsbald abgezogen und legten die inneren Schichten frei
– exotische Hochdruckflüssigkeiten und Wasserstoff im
festen Aggregatzustand – die schließlich auch
verdampften. Es lief genauso ab wie bei den Apollo-Kapseln: Die Hitzeschilder der Raumfahrzeuge
lösten sich nach dem Wiedereintritt zum Teil ab, um die
Reibungshitze abzuführen. Der Jupiterartige hatte mit dieser
Strategie eine Zeit lang Erfolg. Der Planet war mit fünfzehn
Jupitermassen in die Sonne eingedrungen und vermochte viel Hitze zu absorbieren, bevor er zerstört wurde.
Immer tiefer sank der jupiterartige Riesenplanet durch die
turbulente Konvektionsschicht der Sonne und drang dann in die
dichtere, statische Strahlungsschicht darunter ein. Er glich
einem Bohrkopf und hinterließ einen Tunnel, der brutal
durch die
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