Sonnentaucher
Fontänen aus der Photosphäre hervorgesprüht waren und mächtige Wogen von Schall und Materie aus der Gravitation der Sonne herausbersten ließen, die dann zu Corana und Sonnenwind wurden.
Umzäunt von den Ähren, pulsierten die riesigen Granulationszellen in einem komplizierten Rhythmus, während die Hitze aus den Tiefen ihre Millionen Jahre dauernde Reise der Konvektion beendete und jäh als Licht hervorbrach.
Sie wiederum ballten sich zu vollends gigantischen Zellen zusammen, deren Schwingungen den Grundton der beinahe makellos kugelförmigen Sonne bildeten – das Läuten einer stellaren Glocke.
Und über allem, wie die unermeßliche Tiefsee über dem Meeresboden, floß die Chromosphäre.
Die Analogie ließ sich überziehen, aber man konnte sich die turbulenten Bereiche über den Ähren durchaus als Korallenriffe denken, und die Reihen der majestätischen, fiedrigen Filamente, die allenthalben die Bahnen der Magnetfelder säumten, glichen Beeten von Tang, sanft wogend in Ebbe und Flut. Was zählte es, daß jeder dieser rosigen Bögen ein Vielfaches des Erddurchmessers überspannte?
Wieder wandte Jacob den Blick gewaltsam von der kochenden Kugel ab. Ich werde völlig nutzlos sein, wenn ich weiterhin dort hineinstarre, dachte er. Ich frage mich nur, wie die anderen dieser Versuchung widerstehen.
Von seinem Platz aus konnte er das gesamte Beobachtungsdeck übersehen, mit Ausnahme eines kleinen Bereiches hinter der zwölf Meter hohen Kuppel in der Mitte.
Eine Luke in der Seite der Zentralkuppel öffnete sich, und Licht strömte heraus auf das Deck. Die Silhouette eines Mannes erschien, gefolgt von einer hochgewachsenen Frau. Jacob brauchte nicht erst zu warten, bis sich seine Augen an das Licht gewöhnt hatten, um zu wissen, daß es daSilva war, die da kam.
Helene lächelte, als sie sich mit gekreuzten Beinen auf der Nachbarliege niederließ.
»Guten Morgen, Mr. Demwa. Ich hoffe, Sie haben gut geschlafen heute nacht. Es wird ein arbeitsreicher Tag werden.«
Jacob lachte. »Jetzt haben Sie in einem Atemzug dreimal so geredet, als gäbe es hier so etwas wie Tag und Nacht. Meinetwegen brauchen Sie diese Fiktion wirklich nicht aufrechtzuerhalten. Solche Sonnenaufgänge können Sie sich sparen.« Er nickte zu der Sonne hinüber, die den halben Himmel ausfüllte.
»Eine Schiffsrotation, die eine Nacht von acht Stunden bewirkt, gibt Erdlingen die Möglichkeit, regelmäßig zu schlafen«, antwortete sie.
»Da hätten Sie sich keine Sorgen zu machen brauchen«, erwiderte Jacob. »Ich kann jederzeit ein Nickerchen machen. Das ist mein wertvollstes Talent.«
Helenes Grinsen wurde breiter. »Uns hat es keine Mühe gemacht. Aber jetzt, da Sie davon sprechen – es war beiden Helionauten schon immer Tradition, das Schiff vor dem Endanflug einmal zu drehen und das Ganze Nacht zu nennen.«
»Sie haben schon Traditionen? Nach nur zwei Jahren?«
»Oh, diese Tradition ist sehr viel älter. Sie stammt aus einer Zeit, in der sich niemand vorstellen konnte, die Sonne zu einem anderen Zeitpunkt zu besuchen als...« Sie verstummte.
Jacob stöhnte.
»... als nachts, denn dann ist es nicht so heiß!«
»Sie haben’s erfaßt.«
»Filamentar, mein lieber Watson.«
Jetzt war es an ihr zu stöhnen. »Aber wir sind tatsächlich dabei, eine Art Traditionsgefühl unter denen aufzubauen, die schon unten auf Helios waren. Wir bilden den Club der Feuerfresser. Sie werden auch aufgenommen werden, wenn wir wieder auf Merkur sind. Leider kann ich Ihnen nicht verraten, wie das Aufnahmeritual aussieht... Aber ich hoffe, Sie können schwimmen.«
»Ich wüßte nicht, wo ich mich verstecken sollte, Kommandant. Ich werde stolz sein, mich zu den Feuerfressern zählen zu dürfen.«
»Gut. Und vergessen Sie nicht: Sie schulden mir immer noch die Geschichte von der Rettung der Vanille-Nadel. Ich habe Ihnen nie erzählt, wie froh ich war, dieses alte Ungetüm wiederzusehen, als die Calypso zurückkehrte; und von dem Mann, der es gerettet hat, möchte ich hören, wie es sich zugetragen hat.«
Jacob starrte an der Kommandantin des Sonnenschiffes vorbei. Einen Moment lang war ihm, als höre er den Wind pfeifen, und jemand rief etwas... eine Stimme, deren Worte er nicht verstand... und jemand fiel... Er schüttelte sich.
»Oh, das sparen wir uns auf. Die Sache ist zu persönlich, als daß ich sie im Geschichtentausch verschleißen möchte. Es war noch jemand anders an der Rettung der Nadeln beteiligt – jemand, von dem Sie vielleicht gern
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