Sonnenwanderer
Fahrer zurücksetzen wollte, wurde sein Lkw geentert.
Grazile, stumme Gestalten in weiß-goldenen Stretchanzügen kamen an Fallleinen aus dem lichtlosen Gewölbe und landeten auf der Fahrerkabine. Alles ging blitzschnell. Ohne viel Federlesens wurden Fahrer und Bewachung gefesselt und von Bord gestoßen. Kein Schuss war gefallen.
»Entschuldigt die Kopfschmerzen, Jungs und Mädels«, sagte die kleine Schwarzhaarige lässig, sie trug weiße Jodhpurhosen und hatte die Arme in die Hüften gestemmt.
»Ihr braucht die ganze Nacht, um euch zu befreien«, sagte Sir Topas und zog den letzten Knoten fest. »Bis dahin sind wir über alle Berge.«
»Und bringen die Ladung dahin, wo sie am dringendsten benötigt wird«, setzte die Frau hinzu und schlug die flache Hand an die Karosserie. »Ich heiße Luzifer«, sagte sie mit Nachdruck. »Und das hier«, schrie sie, als sie in den Fahrersitz kletterte, »geschieht im Namen von Tombo!« Und ihre Mitstreiter hoben die Faust und schrien »Tombo!«
Luzifer setzte den großen, grauen Lastwagen bis zur Kreuzung zurück und schaukelte dann den Tunnel hinauf; Auk stand auf dem Dach wie ein Mahout, der auf einem Metallelefanten balanciert. Der ganze Überfall hatte kaum zwei Minuten gedauert.
Sir Topas saß weiter hinten auf dem Dach. »Im Schwalbenhals ist heute Abend ein Fest«, rief er nach vorne. Die beiden Männer duckten sich geflissentlich, als Luzifer ein niedriges Deckenstück passierte, dann schaukelten sie auf den Grund der Langen Insulären Furche 6 hinaus.
Seit seine Lady verschwunden war, lebte Sir Topas nur noch für Tombo. Er liebte und bewunderte seine neuen Kameraden und sonnte sich in ihrer Arbeit. Der Überfall war ein Triumph, und ein Triumph war doppelt süß, wenn sein Anlass den Notleidenden diente. In solchen Augenblicken erfreute sich Sir Topas des Tattoos auf seinem Handrücken, des »Wissens«, in dem er wandelte, und der »Ursache« in seinem Herzen. Es war gut, dass er sich in diesem Augenblick freute, denn im nächsten traf ihn von hinten der sengende Strahl einer Lichtlanze, trat direkt unter dem linken Schulterblatt ein und verschmorte sein Herz. Ohne einen Laut von sich zu geben, kippte der moderne Ritter rücklings vom beschleunigenden Truck.
Mit hoher Geschwindigkeit hielt der Lastwagen auf die Tunnel zu. Die Rotmützen waren zahlreich. Sie jagten ihn per Flugdrachen, Motorrad und zu Fuß, verloren ihn aber auf der Karman-Vortex-Straße, als plötzlich Hindernisse auftauchten: ein feststeckender Düngewagen; ein wildes, stürmisches Tunnelballspiel. TOMBO OK, sagte das Graffito. Die Milizionäre fielen wutschnaubend zurück.
Königin Marjorie von Foxbournia hatte die Leiche des Entführers von den Rotmützen ausgehändigt bekommen und Laura Overhead und Frau Cuthbertson befohlen, die Leiche in die Hängenden Gärten zu schaffen, wo der Beste Richter saß. »Er wird ein Exempel statuieren«, hatte die Königin gesagt und mit ihrem Zepter nach dem wehrlosen Schurken gestoßen. »Er wird diesen Banditen und Terroristen schon zeigen, dass wir sie nicht ungestraft davonkommen lassen!«
In ihren weißen Wildlederschuhen und weiten Nadelstreifenhosen stand Frau Overhead reichlich hilflos in diesem öffentlichen Katzenklo und gab sich Mühe, nicht auf die verschrumpelten
Leichen zu blicken, die sich hier und da im Laubwerk drehten. Die ihre saß bereits auf der Anklagebank, mit dem Rücken gegen den Maschendraht gelehnt. »Ich glaube, mir wird gleich schlecht«, sagte sie.
Frau Cuthbertson war robuster. »Atme ein paarmal tief durch und denke an die Gerechtigkeit, Laura.«
Der Beste Richter saß auf einer löchrigen Couch mitten in tausend Kissen und Decken. Die alte blau-rote Robe sah ziemlich mitgenommen aus, nicht dagegen die riesige, aus palernischer Wolle gefertigte Perücke. Eine große Flasche ragte verräterisch aus seiner Tasche.
Den Kopf des Gerichtsschreibers knapp verfehlend, schlug er mit dem Hammer auf das Lesepult und funkelte die zusammengesunkene Gestalt am Maschendraht an. »Alle Personen, die mehr als zehn Zehntel tot sind, müssen den Gerichtshof verlassen«, ordnete er an.
»Mein Klient ist nicht mehr als zehn Zehntel tot, Euer Ehren«, wandte der Verteidiger ein und griff mit beiden Händen in sein Revers. »Genau genommen sollte ich sagen, Euer Ehren haben ein geradezu untrügliches Augenmaß.«
»Niemand hätte es besser sagen können«, sagte der Richter und schlug wie ein Fünfjähriger mit dem Hammer herum.
Weitere Kostenlose Bücher