Sonnenwende
Elsa.«
Auch Tom machte sich klein. Er kannte Elsa besser, als ihm lieb war. Sie deutete auf einen Platz unten am Wasser – auf I 2 war etwas frei. Mimi flüsterte ihr kurz ins Ohr, danach entschieden sie sich für einen Platz auf F 6. Wladimir verfolgte aus der Deckung jeden ihrer Schritte.
Natürlich wusste Tom auch, wer Mimi war. Jeder in Berlin kannte Mimi. Most ambitious party girl. Gnadenlose Selbstausbeuterin. Für ein Titelfoto auf einer drittklassigen Illustrierten |122| wäre sie nackt verkehrt herum auf einem Rüsselschwein geritten oder hätte sich in eine Wanne Mousse au chocolat legen und anschließend von geifernden Männern ablecken lassen. Vor zwei Jahren, mit zarten vierundzwanzig, hatte sie sich entschlossen, einen 76-jährigen Seifenfabrikanten zu heiraten, der mehr Geld hatte, als ein ganzes Orchester von ihrer Sorte ausgeben konnte. Daher ihr Spitzname: Mimi. Von Mimi Papandreou. Die Stadt war seit Monaten mit Plakaten gepflastert, auf denen sie ordinär lachend bis zum Brustwarzenansatz im Schaum versank und die neue Körperlotion aus dem Hause ihres Mannes anpries: »Für danach«.
Ihr Vater war ein hohes Tier in der Stadtverwaltung, gegen den gerade ein Verfahren anhängig war, weil ein Finanzprüfer einige Ungereimtheiten bei der Vergabe eines offiziellen Bauvorhabens am Leipziger Platz nicht hatte ignorieren können. Elsa wirkte neben ihr immer etwas fade, und keiner hätte je gesagt: »Da kommt Elsa mit ihrer Freundin Mimi.« Wladimir drückte es so aus: »Die schwimmt in Mimis Kielwasser.«
»Weißt du, warum sie sich nicht unten ans Wasser gelegt haben?«, fragte Wladimir, nachdem die beiden sich umständlich auf dem Rasen ausgebreitet hatten.
»Wegen der besseren Übersicht?«
»Quatsch. Wegen Marco.«
»Welcher Marco?«
»Du kennst Marco nicht? Der Typ da vorne mit der schwarzen Stringbadehose?«
Auf J 4 lag ein kompakter Körper südländischer Bauart mit Mafiosisonnenbrille, behaartem Hintern und einer Uhr, die selbst aus der Entfernung wie eine Rolex aussah.
Tom: »Sagt mir nichts.«
»Immobilienschieber. Eine Zeitlang hat er sich gerne mit seinen Fuzzis im Gogo an dem runden Tisch breitgemacht und sich von Mimi Champagner in Kübeln bringen lassen.«
|123| »Ich dachte, Mimi arbeitet nicht im Gogo.«
»Er hat sie extra dafür bezahlt. Jedes Mal fünfzig Euro. Einmal Kübel nehmen und auf den Tisch stellen. Ganz einfach. Das war alles.«
»Und?«
»Irgendwann hat er sie so mit Koks abgefüllt, dass sie sich von ihm in der Garderobe hat bumsen lassen. Im Stehen. Zwischen dem Kleiderständer und den Taschen. Sie war so zu, dass sie den Ausgang mit der Toilette verwechselt hat. An der Kleiderausgabe war ganz schön was los. Seitdem traut er sich nicht mehr hin.«
»Dieses ölige Haarteil da vorne, das so aussieht wie die komplette italienische Nationalmannschaft?«
»Genau das. Klar, dass sie keinen Bock darauf hat, sich die ganze Zeit von ihm auf den Arsch glotzen zu lassen.«
»Dafür hat sie sich aber erstaunlich wenig anmerken lassen.«
»Wer weiß, vielleicht ist sie ihm dankbar. Ihrem Ruf als Berlins Vorzeigeluder hat die Aktion jedenfalls nicht geschadet.«
Elsa suchte mit ihren Blicken die Wiese nach bekannten Personen oder solchen, die es werden konnten, ab. Als sie Tom und Wladimir entdeckte, verdüsterte sich ihr Gesicht. Sie stieß Mimi mit dem Finger an.
Jemand muss ihr die Wahrheit erzählt haben, dachte Tom.
Die würde mir am liebsten mit ihrer Nagelfeile die Augen ausstechen, dachte Wladimir.
Beide hatten recht.
Tom hatte eine große Schale mit Erdbeeren dabei, die er morgens geschnitten hatte, um nicht pünktlich bei Wladimir auftauchen und
noch
länger warten zu müssen.
»Magst du?«
»Gewaschen, geschnitten und in einer Tupperdose verpackt. Mann, bist du manchmal spießig.«
|124| »Du
musst
sie nicht essen.«
»Doch, klar! Gib her.«
Er probierte eine: »Und gezuckert! Manchmal bist du sogar superspießig.«
»Was ist denn an einer Tupperdose spießig?«
»Das versteht sich ja wohl von selbst. Tupperdosen sind spießig, Punkt.«
»Das versteht sich überhaupt nicht von selbst.«
»Der Rasen ist grün, und Tupperdosen sind spießig.«
»Blödsinn.«
Wladimir schob sich die nächste Erdbeere in den Mund und dachte einen Moment nach: »Gibt’s mal wieder Probleme mit Helen?«
»Was hat das denn
da
mit zu tun?«
»Also ja.«
Das hatte Tom jetzt davon. Nett hatte er sein wollen und Wladimir ein paar Erdbeeren angeboten, zum Dank
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