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Sonntag bis Mittwoch

Sonntag bis Mittwoch

Titel: Sonntag bis Mittwoch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joseph Hayes
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sonst. Bei ihm war es also kein Verdacht mehr, sondern Wissen.
    Hinein in die Wohnung. Das Beben, tief zuinnerst, setzte wieder ein, in einem Gletscher der Leere. Keine Hitze mehr, nur Kälte, blau, intensiv und fürchterlich.
    Niemand in Sicht. Nur keine falschen Hoffnungen, diesmal. Diele und Wohnzimmer sorgfältig aufgeräumt: erstaunlich! Musik lauter – jedoch nicht der primitive Beat. Eine Stimme zur Gitarre, unverständliche Worte. Ich schaltete den Apparat aus und merkte: es war eine Schallplatte, nicht das Radio. Einer von beiden hatte die Wohnung verlassen.
    »Willkommen, Paps. Willkommen in Spießersdorf.«
    Wilby stand in der Terrassentür – der geöffneten Tür! – ein Buch in der Hand. Lässig. Er hatte sich umgezogen: enge Hosen, schwarzgelb gestreift, breiter Gürtel, schwarzer Rollkragenpullover und hohe Lederstiefel. Alles offensichtlich neu. Er grinste leicht.
    Ich ignorierte ihn, kehrte in die Diele zurück und sah die Post durch. Rechnungen, Werbedrucksachen, eine Postkarte von einem Freund aus dem Urlaub in Maine. »Ist das alles?« Sehr seltsam.
    »Was erwarteste, Paps, deine Einberufung?«
    »Einen Brief von meiner Frau«, antwortete ich.
    Seine Laune war wieder normal – falls überhaupt eine seiner Launen normal war. »Schreibt sie etwa jeden Tag? Das is ja der letzte Heuler.« Eingewickelte Pakete lagen auf der Treppe zur Galerie. Anscheinend hatten also beide eingekauft.
    »Paps, du bist spät dran. Werd' dich beim Aufseher melden müssen. Kriegste vom Gehalt abgezogen. Wolltest mich wohl ärgern, was, Casanova?«
    »Haste auch!« Jenny auf der Galerie in einem dünnen, engen Rollkragenpullover und einem Rock, der so kurz war wie Shorts. »Haste auch, er war den ganzen Tag wütend. Laß ihn nur im eigenen Saft schmoren, Adam –« Sie kam schnell herunter, auf mich zu; verändert, irgendwie anders – wie? »Dem läuft der Schweiß von den Eiern, wenn er überhaupt welche hat.« Sie schmiegte sich an mich, die Hände in meinem Nacken, zog meinen Kopf herunter, küßte mich auf die Lippen. Alles mit großer Selbstverständlichkeit, weniger sinnlich als besitzergreifend. »Du hast mir gefehlt, Liebling. Aber anders als Wilby.«
    Ich löste mich aus ihrer Umarmung. Lieber Gott! Was kam nun? Sie blickte mich stirnrunzelnd, aber lächelnd und selbstsicher an.
    Wilby schnaubte: »Haste heute die Sprache verlor'n, Casanova?«
    »Was wollen Sie denn wissen?«
    Meine Stimme klang so sachlich, so bar jeder Emotion oder Widerspenstigkeit, daß sie mir im ersten Augenblick nicht wie meine eigene vorkam.
    »Wo du zum Beispiel gewesen bist, paps.«
    Jenny kicherte. »Das wolltest du doch nicht fragen.«
    »Spazierengegangen«, antwortete ich. »Mit meinem Hund.«
    Jenny stieß einen Schrei aus, rannte zur Treppe, setzte sich auf die Stufe und riß ungestüm die Pakete auf. »Du hast mir nicht gesagt, das sie gekommen sind. Du gemeiner Bastard.«
    »Hure.«
    Jenny fetzte ein Paket auf, verstreute Seidenpapier um sich, hielt mit einem Entzückensschrei ein Kleid hoch, drückte es an sich, warf es beiseite und machte sich über die nächste Schachtel her.
    »Hab' mir gedacht, daß du'n Hund hast. Oder 'n Papagei oder Katzen. Irgend 'n kleiner Liebling mußte ja da sein.«
    Ich ging zur Treppe hin. »Ich habe zwei Lieblinge«, sagte ich. »Wenn man sie so nennen kann.«
    Wilby jaulte vor Vergnügen. »Casanova will witzig sein! Siehste, Jenny, ich hab's ja gesagt, er wird noch.«
    »Du hast dir fast in die Hosen gemacht«, entgegnete Jenny.
    Als ich den Fuß der Treppe erreichte, versperrte Wilby mir den Weg. »Wer ist mit dir aus dem Taxi ausgestiegen?«
    Ich starrte eisern in seine dunklen Brillengläser; es war nicht möglich, seine Augen zu erkennen. Ich brauchte mir meine Antworten nicht zu überlegen, sie kamen mir ganz natürlich von den Lippen, mit gleichmütiger Kühle: »Niemand.«
    »Er sieht den ganzen Tag Gespenster«, sagte Jenny.
    »Hure, Hure. Wer war's, Paps?«
    »Ich sagte doch, niemand.«
    Er zögerte, machte den Mund auf und wieder zu. Dann: »Siehst nicht besonders gut aus, Mann. Schlechten Tag gehabt?«
    »Anscheinend nicht schlimmer als Ihrer.«
    Er brüllte: »Wer, verdammt, wer?« und riß die Brille ab.
    »Donald Bishop.«
    Ich bemerkte in seinen Augen einen Anflug von Erleichterung; dann blickten sie wieder ausdruckslos. Warum Erleichterung? Weil es sich nur um einen Nachbarn handelte? Oder – war es möglich? – Erleichterung, daß er sich nicht nur eingebildet

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