Sonntag bis Mittwoch
Mieter – Dann, in verändertem Ton, klagend: »Morgen bin ich vielleicht schon tot. Haste daran gedacht?« Ja, oh, ja. »Mach doch bitte auf. Ich weiß, daß du blau bist, ich verzeih' es dir – bitte –«
Ich stolpere zum Bett, Kraftlos. Ich bin der Herr meiner Seele. Falle quer über die Betten. Kein Grund, stolz darauf zu sein. Krank. Betrunken. Feigling. Aber ich traf eine Wahl. Habe ich mich nicht frei und bewußt entschieden, Vater? Augen geschlossen. Schwärze ringsum. Ich sehne mich nach Vergessen. Namen habe ich ja. Birchard.
»Brauchst nicht zu rutschen, Liebling … ich bin's nur … närrischer Mann, man kann doch nicht in den Kleidern schlafen … nein, rühr dich nicht, heb nur die Schultern ein bißchen … so … oh, Sam, du bist ganz heiß, du mußt Fieber haben … du hast doch nicht im Ernst geglaubt, du könntest mich aussperren … nach der letzten Nacht: … weißt du noch, Sam … Wilby hat mir beigebracht, wie man jedes Schloß … nein, nein, mach dir's bequem … du hast's ja nicht so gemeint … im Rausch … und wie Wilby dich behandelt … nein, rutsch nicht weg, nicht jetzt … ich hab' gewartet … bald … oh, ja, so … das magst du, nicht? … so ist es gut … küß mich, du Lump … warum küßt du mich nicht … oh, Sam, ich liebe … du kannst mich hassen, das ist mir gleich … ich liebe dich … oooh –«
»Bist du wach? Schon fast hell draußen. Ich weiß, daß du wach bist – so wie du atmest. Wilby kam vor einer Weile zurück. Ich hab' kaum geschlafen … Warum bist du so – Sam, du kannst doch nicht noch immer blau sein … ja, so hier, nein so. Was ist denn los? Ist doch schon Stunden her, Sam, du kannst bestimmt – ich weiß, daß du nicht schläfst. Schau mich an – was ist das für ein Trick? Du kannst mich nicht so hängen lassen, oh, du Hund, du tust es absichtlich … nein, das kannst du mir nicht antun, vielleicht kannst du auch nichts dafür, aber das brauche ich mir nicht bieten zu lassen. Dann bleibe ich nicht hier. Oh, du bist ein Schuft, ein alter Mann. Kein Mann. Ich bleib' nicht bei dir, du bist ja gar kein Mann!«
Dienstag
Nach einer Sekunde lähmender Verwirrung war ich wach. Schon sehnte ich mich wieder nach Vergessen, aber das Licht irritierte, die Gegenwart drängte sich mir auf, die Vergangenheit – letzte Nacht, o Gott! – überfiel mich schlagartig, unerträglich und raubte mir jede Kraft. Panischer Schrecken durchzuckte mein Herz und verkrampfte meinen Magen. Ich schloß die Augen. Die Morgensonne schimmerte gedämpft durch die schweren Vorhänge, bohrte sich gnadenlos und grell durch meine Lider.
Mein Bewußtsein, all die tausend grausamen Stiche der Erinnerung, ließ sich nicht mehr auslöschen. Ich entsann mich ihrer schmeichelnden Stimme, der Berührung ihrer Hände, der erhitzten Weichheit ihres Körpers, der langsam zögernden Reaktion meines erschöpften Körpers in der Dunkelheit, sinnlos betrunken und willenlos, der elementaren natürlichen und unkontrollierbaren Erregung, des Höhepunkts. Ironischerweise konnte ich wegen meiner Betrunkenheit gerade das nicht vermeiden, was ich mit meinem Trinken zu verhindern beabsichtigt hatte. Dann – wie viel später mochte es gewesen sein? – die andere Hilflosigkeit, nun nüchtern, während sie mich wieder mit allen weiblichen Tricks umschmeichelte, immer ungeduldiger und ärgerlicher wurde und schließlich mit einem bösen Fauchen mein Bett verließ. Oh, du bist ein Schuft, ein alter Mann. Kein Mann. –
Ich richtete mich auf. Mein Kopf zersprang. Ich hörte es förmlich: ein deutliches Knacken, als berste mein Schädel in der Mitte auseinander. Der Triumph, der vergangenen Nacht war dahin: hatte sie möglicherweise recht, konnte das Aas etwa recht haben? Schwankend blieb ich eine Weile stehen, bis sich die Nebelwogen um mich glätteten. Mein Bett. Meines und Lydias. Jenny hatte selbst darin ihren Willen durchgesetzt. Ich schlurfte ins Bad, hoffte auf die gleiche Übelkeit wie gestern, empfand aber statt dessen nur ein elendes Leeregefühl im Magen und eine Schicksalsergebenheit: Ich hatte versagt. Einem schwarzen Leichentuch gleich hüllte mich die Schuld ein. Meine einzige Chance, die erste wirkliche Probe meiner Integrität und Stärke – verspielt um tierischer Reflexe willen. Du kannst mich hassen. Ich liebe dich. Schnell beugte ich mich über die Toilette, konnte mich nicht erbrechen, würgte trocken und keuchend, bis meine Rippen
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