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Sonntags bei Tiffany

Sonntags bei Tiffany

Titel: Sonntags bei Tiffany Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Patterson James
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Frisur gut war. »Stimmt die Frisur nicht, ist alles andere für die Katz’«, wiederholte Vivienne ständig. Um gleich nachzuschieben: »Du brauchst schließlich jede Hilfe, die du bekommen kannst.«
    Alle Vorsicht in den Wind schießend, sprühte ich eine gehörige Portion Calvin Klein Spikey Styling Mousse auf
meine Hände und fuhr mit den Fingern durchs Haar. Die Locken plusterten sich auf und umrahmten mein Gesicht. Ich wusste nicht, ob es gut oder schlecht aussah, aber es sah anders aus … und modern … und nicht nach Langweilige Jane.
    Plötzlich erinnerte ich mich an die Zeit, als Michael und ich unzertrennlich gewesen waren.
    Â»Kriegsbemalung«, hatte Michael gesagt, als er Vivienne gesehen hatte, die bis zu den Zähnen für eine Tony-Verleihung bewaffnet, äh, aufgemacht war. Ich hatte zwar gekichert, doch Vivienne hatte blendend ausgesehen – eine schlanke, blonde Göttin, der zu ähneln ich mir auf jeden Fall abschminken konnte.
    Jetzt, als ich mich im Spiegel betrachtete, bemerkte ich überrascht ansatzweise eine Ähnlichkeit mit Vivienne. Ich hatte ihre Wangenknochen – zumindest würde man sie sehen, wenn ich mindestens zehn Kilo leichter wäre. Meine Augen waren größer, runder und braun, doch die Wimpern waren von ihr. Meine Nase war kräftiger, aber sie ähnelte mehr ihrer Nase als der meines Vaters.
    All das war mir vorher noch nie aufgefallen. Ich erinnerte mich an Michael, der mich voller Liebe angesehen und »Du bist eine Schönheit« gesagt hatte. Er hatte ehrlich geklungen. Hatte er gemeint, meine Mutter in meinem Gesicht zu erkennen?
    Vielleicht hatte er mich einfach nur um meiner selbst willen für schön gehalten.
    Quatsch.
    Jane! Weiterarbeiten! Ich straffte die Schultern, riss die Tür zu meinem begehbaren Kleiderschrank auf und versuchte
mich nicht so zu fühlen, als warteten darin Menschen, die unbedingt sehen wollten, wie ich von Löwen gefressen wurde.
    O Gott, es war schlimmer, als ich gedacht hatte. Meine panischen Augen sahen ein Meer aus Beige, Schwarz und Erdtönen. Ich hatte nichts auch annähernd Erotisches – oder Farbiges.
    Moment! Warte mal! Was haben wir denn hier?
    Ich wühlte mich durch einige aus der Mode gekommene Mäntel und erspähte ganz hinten zwei Chanel-Retro-Cocktailkleider. Vivienne – natürlich! – hatte sie mir gekauft, als ich noch ein junges Mädchen gewesen war. Ich zerrte eines heraus und nahm es unter die Lupe. Es sah nach Fünfzigerjahre aus – grellrosa mit engem Oberteil und flatterndem, kokettem, knielangem Rock.
    Â»Irgendwann wirst du alle deine Sachen langweilig finden, Schatz, dann ziehst du eins von diesen hier an«, hatte sie gesagt. »Merk dir meine Worte.«
    Natürlich hatte sie recht gehabt. Und natürlich hatte sie die perfekte Wahl getroffen. Sie hatte mal wieder meinen Arsch gerettet – denselben, der seit weiß Gott wann keinen Stepper mehr gesehen hatte.
    Die Seide rutschte angenehm über meine Haut. Doch ich bekam den Reißverschluss nicht zu.
    Jetzt hatte ich eine Mission zu erfüllen – und kippte den Inhalt meiner Wäscheschublade aufs Bett. Unter meinen zweckmäßigen BHs und unerotischen Slips befand sich ein Einteiler, der mit etwas Glück aus Kevlar gemacht war. Damit könnte es funktionieren.
    Ich zwängte mich hinein.

    Ich streifte das Kleid über.
    Nichts zu machen mit dem Reißverschluss.
    Ich holte aus der Gerümpelschublade in der Küche eine Zange. Damit konnte der Reißverschluss nicht mithalten, und der Vorteil war, dass das viel zu enge Oberteil meinen Titten nur einen Ausweg offen ließ – den nach oben. Solange ich mich nicht bücken oder tief Luft holen müsste, war die Sache geritzt.
    Noch abenteuerlicher als meine Entscheidung, das rosa Kleid anzuziehen, war die, auf eine Jacke zu verzichten. Wenn meine Arme etwas zu fleischig waren, dann waren sie es eben. Im besten Fall und im besten Licht würde ich vielleicht etwas füllig aussehen.
    Ich wagte es nicht, mich im großen Spiegel im Flur anzuschauen. Was wäre, wenn ich wie ein Kind in einem Halloween-Kostüm aussah? Die Zeit, mich umzuziehen, reichte ohnehin nicht mehr.
    Jetzt kann’s losgehen, dachte ich, als ich den Fahrstuhlknopf drückte. »Sie sehen ganz hinreißend aus, Miss Margaux«, sagte der Portier. »Soll ich ein Taxi rufen?«
    Â»Nein, danke.

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