Sonst kommt dich der Jäger holen
dem anderen wurde aufgetragen, große Teller mit wenig drauf, auf den ersten Blick enttäuschend, doch die kleinen Portionen entfalteten köstliche Aromen – ich konnte mich nicht erinnern, wann ich zuletzt so gut gegessen hatte. Vielleicht Kaiserschmarrn bei Rosina Marklstorfer, ein Gedicht aus Luft und Liebe an Eiern und Mehl.
»Keine Ahnung. Meine Assistentin hat dich gefunden.«
»Und warum hast du nicht frühzeitig jemanden gebucht? Das war doch jetzt recht kurzfristig.«
»Eigentlich wollte ich Erholungsurlaub machen. Die bieten hier vom Hotel aus auch ein Sportprogramm an. Aber ich habe gemerkt, dass mir das zu lasch ist. Und ich habe keine Lust, allein die Berge rauf- und runterzurennen. Man kann sich da echt auch verlaufen. Ich kenn mich eher im Flachland aus. Nein, nein, ich finde das zu zweit besser. Und mit dir bringt es richtig Spaß.«
»Machst du so was öfter?«
»Alle paar Monate nehm ich vier, fünf Tage. Im Allgäu war ich noch nie. So schau ich mir Deutschland an. Hab ’nen stressigen Job und komm unter der Woche nicht so richtig zur Erholung. Okay, ich laufe morgens, und abends gehe ich ins Fitnessstudio, aber das befriedigt mich nicht.«
»Klar«, nickte ich.
»Und du?«
»Für mich ist der Sport ja der Job. Ich halte jeden Tag mehrere Kurse ab. Und dann jogge ich noch mit meinem Hund. Im Sommer sind wir beim Schwimmen. Ach ja, und ich fahre fast alles mit dem Rad.«
»Hm. Praktisch. Hast du ’nen Freund?«
Waren die so, die Berliner, so direkt? »Nö«, sagte ich und fragte »Und du?«
»Keine Zeit. Einen Mann kann ich echt nicht unterbringen. Wann soll ich denn dann Sport machen?« Beinahe empört schaute sie mich an. »Man muss Prioritäten setzen.«
»Logo«, stimmte ich zu.
»Ich habe schon ’ne Idee für morgen«, verkündete Erika, als das Dessert aufgetragen wurde, ein Traum in Eis mit tropischen Früchten.
Ich lobte das Arrangement, um zu überspielen, wie peinlich mir ihre Vorschläge waren. Es wäre mein Job gewesen, das Programm vorzustellen. Andererseits – wenn sie es so wollte. Sie bezahlte. Und so wie es aussah, würde ich die neunhundert Euro pro Tag als Schmerzensgeld verbuchen können. Bergauf rennen in Höllentempo, das war etwas anders als ein entspannter Halbmarathon an der Isar, auch wenn mir da schon eine Yogastunde und Body Combat in den Beinen steckten. Flipper war ebenfalls bedient, er hatte es vorgezogen, mich nicht zum Essen zu begleiten, sondern sich in unserer Suite einzurollen.
»Schlaf gut«, verabschiedete Erika sich gegen halb zehn, und fünf Minuten später schlief ich auch schon und wachte am Sonntagmorgen um sechs Uhr wie gerädert auf, was sicher an der Höhenluft lag.
»Einen wunderschönen guten Morgen«, wünschte mir die Rezeption am Telefon. »Danke gleichfalls«, krächzte ich, noch weit entfernt davon.
Um 6:15 Uhr traf ich mich mit Erika zum Yoga. Sie war nicht ungeübt, aber es fehlte ihr an Geschmeidigkeit, was mir schmeichelte, ich war also nicht ganz überflüssig.
Von 8:00 bis 8:45 frühstückten wir. Erika ließ sich von dem Mann mit der weißen Mütze drei Eier braten, dazu gab es einen Eimer Müsli, Früchte und Vollkornbrot.
Ich esse morgens nicht gern, und erst recht nicht viel, doch ich hegte einen begründeten Verdacht, ich sollte Reserven bunkern. Erika schien Großes vorzuhaben. Hatte sie auch. Vor allem Hohes.
Einen gefühlten Marathon später, auf gefühlten viertausend Metern, wollte ich mich nicht lumpen lassen und schlug Liegestütze, Sit-ups und andere Kinkerlitzchen vor, sodass auch wirklich jedes Muskelgrüppchen laut hier! rief. Erikas Gesicht war knallrot. Meines wahrscheinlich auch. Nur Flipper war nichts anzumerken, doch als wir am Mittag im Hotel waren, rollte er sich sofort zusammen. Ich beneidete ihn. Jedes meiner Beine wog eine Tonne. Um 14:00 Uhr nahmen wir ein Mittagessen ein, zu dem Erika mit einer Wanderkarte erschienen war. Bitte nicht, dachte ich. Und sie erhörte meine Bitte. Am Nachmittag wollte sie bloß schwimmen und dann ab in die Sauna. Sich massieren lassen.
»Wie du meinst«, sagte ich, als wäre ich noch lange nicht ausgelastet.
»Ich hab dir eine Stunde Massage gebucht. Kleines Dankeschön für dein Supertraining.«
Prüfend musterte ich ihr Gesicht. Nein, die spottete nicht. Die meinte das ernst. Versteh einer die Berliner. Leider konnte ich die Massage nicht genießen. Es gab kaum eine Stelle, die mir nicht wehtat. Das hier war eine andere Beanspruchung als ich sie aus meinem
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