Sonst kommt dich der Jäger holen
bleiben bis zum Jüngsten Tag. Aber hatte er das nicht auch bei Melanie gedacht? Die war sogar im richtigen Leben eine Chefin gewesen als Abteilungsleiterin mit sieben Leuten unter sich. Aber das interessierte sie alles nicht mehr, seit Sinah auf der Welt war. Melanie behauptete: Ich weiß jetzt, was wirklich wichtig ist. Um herauszufinden, was für ihn wichtig war, hatte Felix sich ins Auto gesetzt und war an den kleinen Fischweiher gefahren, an dem er mit seinem Opa manchmal gezeltet hatte, früher, sobald ihnen der große See zu laut vorgekommen war. Am Wochenende zum Beispiel, wenn Starnberg fast überschwappte vor Touristen, die auch weit weg vom Ufer noch zu hören waren. Sie hatten damals den Rex dabeigehabt, den Schäferhund vom Opa, der schon so alt war, dass er am liebsten schlief. Doch er hatte jeden Fisch gespürt, noch ehe die Angel ruckte. Felix hatte erfahren, dass man mit einer Angel in der Hand und einem Hund an der Seite viel besser denken konnte als ohne. Nämlich gar nichts. Das war oft die Lösung.
Aber bloß weil sie einen Hund hat, kann ich nicht mit Franza zusammen sein, stellte er fest. Ich kann doch nicht die Frau nehmen, weil ich den Hund will. Wenn mich die Frau überhaupt will. Und wer sagt denn, ob ich will. Nein, ich will nicht. Nicht noch mehr Probleme. Ich ruf sie später an. Hauptsache, nicht schwanger.
Zuerst den Johannes. Der hatte auch fünfmal angerufen und einmal auf die Mailbox gesprochen, mit einer komischen Stimme, als wäre ihm ein Knödel im Hals stecken geblieben.
»Servus, Johannes. Du hast mich angerufen. Was gibt’s?«
»Äh, Felix, Mensch, ja. Wahnsinn. Also – wie geht’s?«
»Gut. Und selbst?«
»Ja. Felix, ich weiß nicht, ob es richtig war, dass ich dich angerufen habe.«
»Das weiß ich auch nicht.«
»Ich, äh, also ich hab da was rausgekriegt und … ich dachte mir, dass du es wissen sollst.«
»Aha?«
»Ja, und äh, also es heißt, dass du jetzt den Jägerfall nicht mehr hast. Da ist mir aber eben doch was eingefallen, und ich habe mir gedacht, wenn ich dir das jetzt sage und es wichtig wäre und du es morgen dem Chefbauer sagst, dass dir das eingefallen ist, dann kriegst du den Fall vielleicht zurück, und wir können weitermachen.«
Felix schwieg verblüfft.
»Also ich würde das gern, ich fand das nämlich total super mit dir und ich habe echt was gelernt. Ich meine, ich wusste ja gar nicht so genau, was auf mich zukommt. Sie haben mir gesagt, der Streifendienst wäre abwechslungsreicher als die Arbeit im Fachkommissariat, aber was ich bis jetzt mitkriege, ist die Schreibarbeit die Gleiche. Dafür muss ich mich bei euch nicht mit dem ganzen Mist rumschlagen. Mit vollgepinkelten Schnapsleichen, dummdreisten Frauenprüglern, Verkehrsunfällen, bei denen gerade mal ein Blinkerglas zerbrochen ist, Ladendiebstählen im Wert von Eins fuffzig, seit drei Tagen abgelaufene Touristenvisa, geknackten Geldspielautomaten – und das dann alles immer aufschreiben. Und dauernd fragt der Chef, wie viele Strafzettel wir schon haben. Nicht, dass du jetzt denkst, ich hätte das nicht auch gern gemacht. Manchmal hat es sogar Spaß gebracht, und wenn ich nicht angesprochen worden wäre, hätte ich vielleicht, also ich meine, ich, äh, will sagen, … dass man sich auch mit seinen Kollegen verstehen muss. Man muss sich aufeinander verlassen können. Und wenn man wirklich gut werden will, dann muss man von einem wirklich Guten lernen. Von einem wie dir, Felix. Auch wenn die Laura echt nett ist. Alle sind nett bei euch.« Johannes atmete schwer aus. Felix auch. Aber leiser, viel leiser als sein junger Kollege, unhörbar.
»Willst du noch was lernen?«, fragte er nach einer Pause.
»Klar!«
»Leg nie deine Motive so offen. Nur bei Freunden. Schmeiß dich nicht auf den Rücken wie ein Hund. Außer es gehört zu deiner Strategie.«
»Äh, ja.«
»Johannes?«
»Hm?«
»Danke für dein Vertrauen. Und jetzt erzähl mal.«
»Es betrifft die Jagd, bei der Franz Brandl ursprünglich als Jagdleiter hatte fungieren sollen. Der Jagdleiter macht einen Plan, wer wo steht. Er teilt die Treiber ein und die Jäger. Der Reservejagdleiter, der berufen wurde, als allen klar war, dass Franz Brandl fernbleiben würde, hatte sehr wenig Zeit für einen neuen Plan. Die Jäger haben schließlich alle gewartet, sie waren ungeduldig. Man hatte auch wichtige Jagdgäste dabei aus Norddeutschland. Da ist er auf die Idee gekommen, den Franz Brandl zu fragen, ob der schon einen Plan habe und
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