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Sonst kommt dich der Jäger holen

Sonst kommt dich der Jäger holen

Titel: Sonst kommt dich der Jäger holen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michaela Seul
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legte er die Beute ab und trat sogar zwei Schritte zurück, damit Fritz sich ganz sicher fühlen konnte, während er sich bückte und den Stock aufnahm. Flipper rannte auch erst los, als der Stock geworfen war. Niemals würde er dem Stock in der Kinderhand hinterherspringen oder überhaupt an einem Kind hochspringen. Diese Feinheiten hatte ich ihm nicht beigebracht. Die hatte er selbst entwickelt, nicht weil er darauf spekulierte, mal heiliggesprochen zu werden oder in einer Castingshow DSDSH entdeckt zu werden, er verfolgte ganz eigennützige Ziele. Er wollte, dass so oft wie möglich geworfen wurde. Das liebte er über alles, nur Schwimmen war schöner, und deshalb musste er sich so verhalten, dass sein Opfer – derjenige, der werfen sollte, bis zur Schleimbeutelentzündung in der Schulter, was keine Erfindung, sondern Bestandteil einer real existierenden Krankenakte war – unermüdlich weiterspielen würde. Der Fall, dass Flipper keine Lust mehr hatte, war noch nie eingetreten.
    Ich wollte ihm den Spaß nicht verderben, doch zuerst einmal gedachte ich uns vorzustellen; ich war schließlich nicht zum Spaß hier.
    »Flipper, sitz«, befahl ich ihm, nachdem er Fritz das Stöckchen gebracht hatte.
    Die Erzieherin kam zurück, das weinende Kind auf dem Arm, das sein Gesicht an ihrem Hals versteckte.
    »Ich bin die Franza«, sagte ich. »Und das ist der Flipper. Wer will, kann ihm Guten Tag sagen. Flipper gibt dann seine Pfote.«
    Die Erzieherin nickte anerkennend. Sie war das sympathischste junge Gemüse, das mir in den letzten Wochen begegnet war.
    Fritz sprang vor. »Fritz!«, gab er kurz und knapp bekannt.
    »Du musst schon die Hand ausstrecken, sonst kann dir Flipper ja keine Pfote geben.«
    Fritz wiederholte es. Langsam und deutlich sagte er »Friedrich Wahl«, und streckte seine Hand vor, Flipper streckte die Pfote aus, legte sie auf die Hand von Fritz und neigte kurz den Kopf.
    Begeistert klatschten die Kinder. Und dann wollten alle auf einmal.
    »Der Reihe nach!«, mahnte die Erzieherin.
    Leon und David, Alina und Lilly, Jonas und Emma, Paul und Noah, Amelie und Sophie, Maria und Emily reichten Flipper die Hand, manche sagten wie Fritz ihren Nachnamen. Flipper streckte seine Pfote vor und nickte freundlich. Zum Schluss stellte sich die Erzieherin vor: »Ich bin die Tina.«
    Bloß Sandrine wollte nicht. Auf der kleinen Treppe vor dem roten Bauwagen sitzend verfolgte sie das Geschehen aus sicherem Abstand. Ich ließ Flipper einige Kunststücke vorführen, dann versteckten die Kinder Gegenstände, die er aufspürte, nachdem sie ihm die Augen zugehalten hatten. Alle waren begeistert. Fast alle.
    Nach einer Viertelstunde war Tina so beruhigt, dass sie Flipper und die Kinder allein ließ, die nun alle gleichzeitig Stöcke durch die Luft schleuderten, die er auch dienstbeflissen und auf Anforderung sogar in korrekter Reihenfolge abarbeitete.
    »Das ist eine tolle Abwechslung für uns. Mal was ganz anderes. Von mir aus können Sie öfter kommen!«, lud Tina mich ein.
    »Von meinem Hund aus auch«, grinste ich.
    »Vielleicht würde Sandrine sich bei behutsamer Vertrauensbildung ein Stück näherwagen«, kehrte das junge Gemüse die Pädagogin heraus.
    »Da sollten Sie lieber mit einem kleineren Hund beginnen«, riet ich ihr. »Am besten mit einem Welpen.«
    »Nein, das haben die Eltern von Sandrine schon versucht. Bei einem Welpen sind die Zähne zu spitz, und die haben ja noch gar keine Manieren und bewegen sich auch viel zu schnell. Na ja, wir bleiben dran, weil das ist ja kein Leben, wenn man immer Angst vor Hunden hat. Hunde sind überall.«
    »Gewiss«, nickte ich.
    »Wir haben jetzt gleich Teepause, darf ich Sie zu Karottenkuchen und Früchtetee einladen?«
    Zehn Minuten später saßen wir im Kreis auf Baumstämmen, schräg fiel die Sonne durch die Wipfel, und Tina erzählte mir die Geschichte dieses kleinen Waldkindergartens, den eine Elterninitiative gegründet hatte. Ich konnte nur mit einem Ohr zuhören, da ich verhindern musste, dass die Kinder Flipper trotz des Verbotes mit Karottenkuchen füttern wollten, was sie enttäuschen würde. Obwohl sie brav sitzen bleiben sollten, fiel ihnen dauernd etwas ein, warum sie dringend in die Richtung des etwas abseits liegenden Flipper mussten.
    »Da ist ein Blatt runtergefallen.«
    »Ich schau mal schnell was.«
    »Ich glaub, da ist eine Biene.«
    »Tina, ich muss mal. Ehrlich.«
    Nur Sandrine saß verspannt nah bei der Erzieherin und machte keinen fröhlichen

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