Sophie Scholl
vollgepackt mit Arbeit, einer Mischung aus theoretischem Unterricht und praktischem Training im seminareigenen Kindergarten. Abiturientinnen konnten das Zwei-Jahres-Pensum in der halben Zeit absolvieren.
Emma Kretschmer, die vierzigjährige Leiterin des Fröbel-Seminars war eine interessante Persönlichkeit. In einem schwäbischen Pfarrhaus aufgewachsen, erlernte sie den Beruf der Kindergärtnerin nicht über die traditionelle Diakonissenausbildung, sondern ging auf ein staatliches Seminar. Ab 1924 leitete sie ein Heim für Fürsorgekinder im Vorschulalter. Als 1927 das Evangelische Fröbel-Seminar in Ulm-Söflingen zur Ausbildung staatlich anerkannter Kindergärtnerinnen eröffnet wurde, kam Emma Kretschmer als Lehrerin und baute den Übungs-Kindergarten für die Seminarteilnehmerinnen auf. 1937 übernahm sie die Leitung des Seminars.
Über ihre pädagogischen Fähigkeiten schreibt Susanne Hirzel, die zusammen mit ihrer Freundin Sophie das Seminar besuchte: »Ihr theoretischer Unterricht, zum Beispiel über Oberlin, Fröbel, Montessori, war hervorragend, besonders wichtig war Pestalozzi, dessen ›Stanser Brief‹ gründlich durchgearbeitet wurde.« Emma Kretschmer musste klug sein, um im nationalsozialistischen Staat, der schon bei den Kleinsten mit seiner Weltanschauung ansetzte, den angehenden Kindergärtnerinnen die Ideen eines Friedrich Fröbel, der italienischen Reformpädagogin Maria Montessori und anderen freien Geistern mit auf den Weg zu geben. Für Susanne Hirzel war es einsichtig, dass sie »völlig undurchsichtig« – im Sinne von unangreifbar – auftrat, denn von den braunen Machthabern wurde eine evangelische Ausbildungsstätte 1940 mit großem Misstrauen beobachtet. (1943 musste das Fröbel-Seminar schließen.)
Im Fröbel-Seminar: links stehend Sophie Scholl
Unter den vielen Notizen und Aufzeichnungen, die Sophie Scholl während ihrer Ausbildung machte, sind auf einem Blatt zwei Zitate vereint. Das erste stammt von dem evangelischen Theologen und Philosophen Albert Schweitzer, der als Arzt im afrikanischen Gabun ein Krankenhaus gründete und viele Jahre leitete: »Die Ethik fragt nicht, ob dieses oder jenes Leben als wertvoll erhalten oder gefördert werden soll. Das Leben als solches ist das geheimnisvoll wertvolle, dem ich in Gedanken und Tun Ehrfurcht zu erweisen habe.« Schweitzers ethische Grundsätze sind mit der Rassen-Ideologie und ihrer Einteilung in »lebenswertes« und »lebensunwertes« Leben – in den Augen der Nationalsozialisten geistig oder körperlich behinderte Menschen oder solche, die an Erbkrankheiten litten – unvereinbar, geradezu eine Provokation. Mit dem zweiten Zitat berief sich Emma Kretschmer auf einen Kronzeugen, der Schweitzers Gedanken, den sie offensichtlich ihren Schülerinnen ans Herz legen wollte, untermauerte und der über jede Kritik erhaben war: »Ich habe mich immer zu der Auffassung bekannt, dass es nichts Schöneres gibt, als der Anwalt derer zu sein, die sich selbst nicht gut verteidigen können – Adolf Hitler.« Wer würde da widersprechen?
Im Frühjahr 1942 überlegte Lisa Remppis, ob sie nach dem Abitur ins Fröbel-Seminar gehen solle, und bat Sophie Scholl um Rat. Der fällt positiv aus, und Sophie empfiehlt ihr, die Schwerpunkte auf Psychologie und Pädagogik zu legen. Vor allem Psychologie »rührt an die tiefsten Fragen«. Ihr Urteil im Rückblick über das Jahr in Söflingen: »Es war eigentlich ein dauernder geistiger Streit unter uns, und so etwas ist ungeheuer belebend und fördernd. Allerdings waren wir auch nur wenige Schülerinnen und hatten zum Teil feine und kluge Lehrkräfte.« Sie selbst verhielt sich allerdings keineswegs immer klug und fein.
Eine Mitschülerin erinnert sich an Sophie Scholl: »Bei den ministeriell verordneten Anhörungen der Hitlerreden im Radio las sie stets irgendwelche politisch nicht gerade erwünschten Bücher. Fräulein Kretschmer, die beliebte und kluge Leiterin des Fröbel-Seminars, machte daraus kein großes Aufsehen. Sie forderte Sophie nur auf, die Bücher beiseite zu legen. Doch Sophie las meistens weiter, und Fräulein Kretschmer übersah dezent dieses Verhalten.« Sophie Scholls Provokation war leichtsinnig bis unverantwortlich, denn eigentlich hätte die Schulleiterin die verbotene Lektüre der Partei, Hitlers NSDAP, melden müssen. Manchmal, wird Sophie Scholl später schreiben, saß ihr ein kleines Teufelchen im Nacken, allen Vorsätzen, kühl und gleichmütig zu bleiben, zum
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