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Sophie Scholl

Sophie Scholl

Titel: Sophie Scholl Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Barbara Beuys
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kann, war die Anspielung auf den Goethe-Vers »Allen Gewalten / Zum Trutz sich erhalten« ein Code-Wort ihrer Familie, wenn unüberwindbare Sorgen sich aufzutürmen schienen. »Feiger Gedanken / Bängliches Schwanken … macht dich nicht frei«, heißt es weiter bei Goethe, »Nimmer sich beugen, / Kräftig sich zeigen, / Rufet die Arme / Der Götter herbei«. Das Stichwort »Allen« genügte schon im Familienkreis, um einen der Scholls wieder aufzurichten.
    Aber warum will Sophie Scholl sich nicht beugen? Was ist es wert, sich nicht anzupassen, kraftvoll auf eine andere Zukunft zu setzen? Die überwältigende Mehrheit der Menschen ringsherum erfüllt doch große Freude über den »Blitzkrieg«. Frankreich ist besiegt und damit die »Schande von Versailles«, das schmachvolle Ende des Ersten Weltkrieges ausgelöscht. Als Paris am 14. Juni 1940 erobert wurde, läuten die Glocken; die Schulen – auch das Fröbel-Seminar – geben schulfrei. Bei einer Siegesparade in Berlin werden die Soldaten – und ihr Führer Adolf Hitler, der »größte Feldherr aller Zeiten«, wie ihn die Wehrmacht nun nennt – umjubelt.
    Am 30. Juni wird mit einem festlichen Gottesdienst im vollbesetzten Ulmer Münster das fünfzigjährige Jubiläum der Turm-Vollendung gefeiert. In seiner Predigt zieht der württembergische Landesbischof Theophil Wurm eine Verbindung zwischen Ulm und Straßburg, das – wie ganz Elsass-Lothringen – vor knapp zwei Monaten von deutschen Truppen überfallen und besetzt wurde: »Vom Ulmer Münster fliegen heute unsere Gedanken hinüber zum Straßburger Münster, wo am Jahrestag von Versailles der Führer weilte … Wer von uns Älteren hätte geglaubt, den Tag erleben zu können, an dem die Schmach von dazumal getilgt und das tausendfältig vergossene Blut unserer Brüder und Söhne doch noch als Same für die Zukunft sich erwies.« Im Sinne der nationalsozialistischen Propaganda, die vom »perfiden Albion« sprach, benannte der Bischof gegen Ende seiner Predigt England als den gefährlichsten und heimtückischsten Feind des Deutschen Reiches. Wer konnte bei so viel Patriotismus, von den Kirchen abgesegnet, noch beiseite stehen?
    Im Dröhnen der Marschmusik, von Orgelklängen gestützt, gegen das Geschrei der Schlagzeilen, die berauschenden Meldungen von der Front und die heroischen Bilder in den Wochenschauen, gegen die Lobreden der geistlichen Führer – alles ist täglich erlebter Hintergrund –, stellt sich Sophie Scholl nicht nur abseits. Sie postuliert, so lange die Politik »so verworren und böse ist, ist es feige, sich von ihr abzuwenden«. Auch das hatte sie am 9. April geschrieben. Fast prophetische Worte, denn noch war in Frankreich kein Schuss gefallen. Aber wer sich von der Propaganda nicht blenden ließ, wusste, dass der deutsche Überfall auf Dänemark und Norwegen die Fortsetzung des blutigen Krieges bedeutete. Warum ist selbst Abseitsstehen nicht ausreichend?
    Weil es zum einen um elementare Werte im menschlichen Zusammenleben geht – um Gut und Böse, um Recht und Unrecht. Die alles beherrschende nationalsozialistische Politik ist »böse«, das zu erkennen, braucht es für Sophie Scholl im Frühjahr 1940 keine Fachleute: »Wenn ich auch nicht viel von Politik verstehe, und auch nicht den Ehrgeiz habe, es zu tun, so habe ich doch ein bisschen ein Gefühl, was Recht und Unrecht ist, denn dies hat ja mit Politik und Nationalität nichts zu tun. Und ich könnte heulen, wie gemein die Menschen auch in der großen Politik sind, wie sie ihren Bruder verraten um eines Vorteils willen, vielleicht.«
    Weil es zweitens um Gerechtigkeit im Zusammenleben der Völker und Staaten geht, und Gerechtigkeit, so Sophie Scholl am 23. September, »steht immer höher als jede andere, oft sentimentale Anhänglichkeit. Und es wäre doch schöner, die Menschen könnten sich bei einem Kampfe auf die Seite stellen, die sie für die gerechtfertigtere halten«. Fritz Hartnagel, unsicher, was damit gemeint war, hatte sie gebeten, ihre Ansicht zum Begriff »Volk« darzulegen. Für Sophie Scholl ist die Sache klar, längst durchdacht. Während einer Pause im Fröbel-Seminar illustriert sie ihre Meinung mit einem einfachen Beispiel: »Ich hielt es immer für falsch, wenn ein Vater ganz auf seiten seines Kindes stand, etwa, wenn der Lehrer das Kind gestraft hatte. Selbst wenn er es noch so liebte. Oder gerade deshalb.« Nach dieser strengen Gerechtigkeit war Sophie Scholl im Elternhaus erzogen worden. Nun wendet sie das

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