Sophie Scholl
poetisch-mystischen Bildern, in die Inge Scholl ihre Hoffnung kleidet, wenn sie ihrem Bruder Hans Trost zu spenden versucht: »Mir scheint, der Krieg führt uns so tief in die Mitte der Dunkelheit hinein, dass unser Wunsch nach Licht zur stetigen, brennenden Sehnsucht wird – und vielleicht zum Segen. Dies letztere – den Segen aus dieser Zeit – wünscht Dir von Herzen Deine Inge.« Aus dem Geburtstagsbrief an Hans Scholl vom 17. September 1940.
In Inge Scholls Briefen an ihren Bruder Hans steckt überdeutlich die Suche nach einem Sinn, vor allem des Krieges. Sie ist überzeugt, dass ihr Schicksal »sich zum Guten wenden wird. Dafür, dass es dich und manch andern besonders schüttelt, wird es euch später auch besonders reifen und bereit machen«. Das war am 19. Juli 1940. Einen Monat später schreibt sie ihm, dass der »Sinn des Krieges offenbar werden« wird: »Ich glaube, dass Du, wenn auch nicht vor der Welt, barmherziger werden wirst. … aus Wunden fließen Kräfte hell und klar.« Hans Scholl war aufnahmebereit für diesen Trost. Am Ende des Jahres wird er Inge Scholl schreiben, sie beide seien sich »während der Kriegsmonate sehr nahe gekommen«. Ihn verbinde mit ihr ein »engeres Band als mit allen andern Menschen«, vom Verhältnis zur Mutter abgesehen.
Inge Scholl wurde im August 1940 dreiundzwanzig Jahre alt, Hans Scholl einen Monat später zweiundzwanzig. Für Hans war Sophie mit ihren neunzehn Jahren die kleine Schwester, auch wenn sie ein herzliches Verhältnis verband und er sie ernst nahm. Er schickte ihr aus Frankreich eine schicke Polobluse und einen blauen Badeanzug und versprach, ihr seinen Hund, der ihm zugelaufen war, mitzubringen. Aber was Hans Scholl bewegte, vertraute er der älteren Schwester an. Sophie Scholl dagegen fühlte eine besondere Verantwortung für den älteren Bruder, seit er an der Front war.
Ende Mai 1940 hatte Lisa Remppis, die Freundin seit Kindertagen, ihr geschrieben, es gäbe seit Ostern eine Verstimmung zwischen ihr und Hans, der sich im Herbst 1937 in die Vierzehnjährige verliebt hatte und seine Gefühle erwidert fand. Sophie Scholl antwortete, diese Verstimmung dürfe keine Rolle mehr spielen. Sie solle Hans schreiben, es sei »vorbei und vergessen« und ihm »die Herzlichkeit geben, die jetzt alle so nötig haben, besonders Hans«. Es komme nur darauf an, »ihnen zu helfen, damit der Krieg ihnen kein bisschen anhaben kann. Dazu sind sicher Mädchen und Frauen notwendig. Wir sind in dieser Beziehung nicht ganz verantwortungslos«. Wie in alten Zeiten fühlte sie sich als weibliches Wesen in der Verantwortung, den Männern die Schrecken des Krieges zu nehmen, mindestens zu erleichtern. Ebenfalls im Juni hatte Inge Scholl an ihren Bruder geschrieben, dass sie an sich arbeiten werde, um in ihrem Innern »die große Ordnung und Klarheit zu schaffen, die ihr Brüder braucht, wenn ihr zurückkommt«. Und sie schloss die ganze Familie in das Bemühen ein. »Bei aller Lüge in der Welt« seien »diese wenigen Menschen bemüht, einen Kreis von Wahrheit um Dich zu bilden«.
Hans Scholl erlebt das Grauen des Krieges vor allem beim medizinischen Einsatz im Lazarett. Er badet aber auch in der Biskaya, reist etliche Male von seinem Quartier wie ein Tourist nach Paris: »Ihr glaubt nicht, wie sehr mich das Pariser Leben anregt«, schreibt er Inge Scholl Anfang August. Und fährt fort: »Aber es ist nichts, das mich zutiefst bewegt. Meine tiefsten Gedanken kämpfen auf anderer Ebene.« Offensichtlich hat er vieles noch nicht genug durchdacht, um Klarheit gewonnen zu haben und sie auszusprechen.
Die schwesterliche Vertrautheit zwischen Sophie und Inge Scholl, die sich in der Wohnung am Münsterplatz ein Zimmer teilen, ist seit dem Krieg noch gewachsen. Beide fühlten sich über die Sorge um den Bruder hinaus besonders verbunden, weil jede um den Freund bangte, der unter den Soldaten war. Ernst Reden wurde, wie Fritz Hartnagel, von allen Geschwistern freundschaftlich aufgenommen. Sophie Scholl hatte ihm Ende April eine Kiste Apfelsinen geschickt, für die er sich überschwänglich bedankte: »Du bist, wie alle anderen ›Scholls‹ auch, viel zu gut zu mir.« Im August kam Ernst Reden auf einen kurzen Besuch nach Ulm. Sophie Scholl absolvierte in diesen Wochen ein vierwöchiges Praktikum in einem Kindersanatorium in Bad Dürrheim und bedauerte sehr, ihn nicht sehen zu können. Nach der Abreise von Ernst Reden schrieb Inge an Sophie Scholl: »Du kannst Dir denken, wie mich
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