Sophie Scholl
sitzen Sophie und Lisa im Zug nach Ulm. Tags darauf, am 10. August, ist Sophie Scholl auf dem Weg nach Bad Dürrheim bei Donaueschingen, wo sie vier Wochen im Kindersanatorium Kohlermann praktische Erfahrungen sammelt, wie es die Ausbildung zur Kindergärtnerin vorschreibt.
Sophie Scholls entspannter Urlaubsgruß kreuzt sich mit dem Versuch von Fritz Hartnagel, ihr das Ethos des Soldatentums näher zu bringen, so wie er es versteht. Er steht mit dieser positiven Deutung nicht allein. Im Frühjahr 1939 hat Claus Schenk Graf von Stauffenberg in einer ausführlichen Korrespondenz mit dem Autor eines Aufsatzes »Vom Wesen des Soldatentums« seine Gedanken zu diesem Thema dargelegt. Der Aufsatz charakterisierte Soldaten als eine Gemeinschaft von »Kampf und Todbereiten«. Durch den Soldaten Adolf Hitler sei die Verschmelzung von Soldatentum und Volkstum gelungen. Stauffenberg dankte dem Autor, der ihm aus dem Herzen spreche, und fügte seine zentrale These hinzu, »dass das Soldatentum und damit sein Träger, das Offizierskorps, den wesentlichsten Träger des Staates und die eigentliche Verkörperung der Nation darstellt«. Im »völkischen Entscheidungskampf um Sein oder Nichtsein der Nation« werde dem Soldatentum die Verantwortung zufallen. Auch aus dieser Tradition heraus wird sich Stauffenberg Jahre später mit anderen Verschwörern gegen den nationalsozialistischen Staat stellen und am 20. Juli 1944 das Attentat auf den Diktator wagen.
So anstrengend die Arbeit mit den Kindern im Bad Dürrheimer Sanatorium ist, Sophie Scholl nutzt am 19. August eine Mittagspause, ihre Meinung zum »Beruf des Soldaten« darzulegen. Die wesentlich bescheidenere Deutung des Soldatentums durch Fritz Hartnagel – die grundsätzlich in Stauffenbergs Richtung geht –, findet vor ihren Augen keine Gnade. Sophie Scholl erkennt schon 1940, wie sehr das gegenwärtige Soldatentum, indem es sich auf allgemeine menschliche Werte beruft, diese pervertiert – denn es ist nun einmal ein Handwerk des Krieges. Kein Soldat kann dem entkommen, auch Fritz Hartnagel nicht: »Soviel ich Dich kenne, bist du ja auch nicht so sehr für einen Krieg, und doch tust du die ganze Zeit nichts andres, als Menschen für den Krieg auszubilden.« Dann wird sie konkret und damit bitter-ironisch: »Du wirst doch nicht glauben, dass es die Aufgabe der Wehrmacht ist, den Menschen eine wahrhafte, bescheidene, aufrechte Haltung beizubringen.« Es ist der gleiche radikale Ansatz, der neue scharfe Ton, der alle gewichtigen Themen in Sophie Scholls Briefen an Fritz Hartnagel seit dem Frühjahr 1940 kennzeichnet.
Auch mit sich selbst geht Sophie Scholl ins Gericht. Nur ein winziger Bruchteil ihrer Handlungen entspräche dem, was sie für richtig hält: »Oft graust mir vor diesen Handlungen, die über mir zusammenwachsen wie dunkle Berge …« Hinter allem stände eine unendliche Müdigkeit. Aber sie dient ihr nicht als Ausrede: »Ich bitte Dich nur, halte mich nicht für gut, da ich schlecht bin. Tu es meinetwegen, damit ich nicht immer die Angst haben muss, dich einmal schwer enttäuschen zu müssen. Ich erkenne, wie ich bin, und bin zu müde, zu faul, zu schlecht, dies zu ändern.« Allem Mutmachen zum Trotz schließt dieser Brief in tiefer Resignation: »Entschuldige, wenn Dich der Brief verwirrt. Ich kann mich aber nicht immer zeigen, wie ich nicht bin. Sofie.«
Erkennen durch Denken ist ihr Motto, um so mehr in diesen Zeiten einer »bösen Politik«. Träume sind verboten, zumal wenn sie ihre Person betreffen: »Denke manchmal an mich, aber träume nicht von mir.« Sie selbst versucht sich in rigoroser Askese: »Ich arbeite eher zu wenig als zuviel. Noch lange nicht leiste ich das, was ich könnte. Und eines habe ich mir abgewöhnt: das Träumen von Dingen, die mir angenehm sind. Das lähmt.« Hier kommt im Ansatz zum Vorschein, worauf Sophie Scholl in diesen Wochen ihre Hoffnung im Kampf für eine gerechte Sache setzt, so gering sie auch sei: dass es Menschen gibt, die ihr »ganzes Denken und Wollen auf eines ungeteilt richten« – wie einst Mose für sein Volk Israel.
Fritz Hartnagel versteht die Welt nicht mehr. »Ich denke immer an Dich, so wie Du bist, da ich mir nicht vorstellen kann, was an Dir anders sein könnte«, hatte er Sophie Scholl am 6. Juni geschrieben. »Du bist so gut, und ich hab Dich darum lieb.« Aber nachdem Sophie Scholl an seiner Deutung vom Soldatsein – seinem Beruf – kein gutes Haar gelassen hat, ist bei ihm alle Hoffnung auf
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