Sophie Scholl
neuen suchen, auf sich allein gestellt durchs Leben gehen – wie sie es für sich selber anstrebt.
Ob das Fritz Hartnagel wirklich klar ist? Große Erleichterung spricht aus seinem Antwortbrief, Sophies sanfter Ton wird dazu beigetragen haben. Seine Hoffnung ist wieder gestiegen. Er freut sich, bald in ihrer »wärmenden Umgebung« zu sein, und vielleicht »können wir nach alledem viel freier zusammen sein«. Es würde sich alles klären, wenn sie »barmherzig zueinander« seien. Er will auf ihre neuen Ziele eingehen: »Wenn mich auch der Schmerz noch manchmal drückt, so ahne ich doch, wenn auch noch ungewiss, einen neuen Boden.« Ob Fritz Hartnagel und Sophie Scholl dasselbe meinen, wenn sie vom »neuen Boden« sprechen?
Am 1. Oktober, kurz vor den Herbstferien, kündigt Sophie Scholl ihrer Freundin Lisa ihren Besuch an. Fritz wolle nach Ulm kommen, aber sie würde lieber mit Lisa Urlaub machen. Und dann noch ein Nachsatz: »Ich bin übrigens fest entschlossen, mit ihm zu einem gültigen Schluss zu kommen. Es ist schwer und grausam. Aber besser als verlogen.« Doch Sophie Scholl muss ihren Besuch absagen. Die Mutter habe ihr verboten, zu Lisa zu fahren, da jetzt Fritz und Hans zu Hause auf Urlaub sind. Das heißt: Sophies Gesellschaft für die zwei Soldaten ist in den Augen von Lina Scholl wichtiger. Hatte nicht Sophie Scholl ihrer Freundin im Sommer geschrieben, es gelte, Hans und den anderen, die im Krieg sind, eine besondere Herzlichkeit zu zeigen – »dazu sind sicher Mädchen und Frauen notwendig«? Das gilt offenbar nicht mehr. Sophie Scholl gehorcht der Mutter, aber sie versucht, nicht vom Pfad der Härte abzuweichen. »Ich staune über meine Kühle«, kommentiert sie gegenüber Lisa Remppis ihr Verhalten, »es gilt, durchzuhalten«.
Ende Oktober, Lisa ist in den Ferien in Ulm gewesen, schreibt sie an Sophie Scholl: »Du warst übrigens wahnsinnig blöd zu Fritz – wenn ich jetzt Fritz wär – würd ich Dich nehmen und an einen Baum schmeißen oder den Berg hinunter.« Der »gute, sanfte Fritz« sei selber schuld, »leider gefällt ihm das«. Sie aber könne diese Art nicht gut an Sophie leiden: »Wär ich eine ›Groß‹-Psychologin, so wie Balzac, würde ich einmal ein Buch über Mädchen schreiben, wie raffiniert sie sind.« Das war durch die Blume und dennoch sehr direkt gesagt. Sophie Scholl nimmt Lisa Remppis die Kritik nicht übel; sie schätzt es, dass die Freundin ihr nicht nach dem Mund redet.
Mitte Oktober bricht Hans Scholl von Ulm nach München auf, um weiter Medizin zu studieren; seine aktive Soldatenzeit ist vorbei, vorläufig. Fritz Hartnagel muss wieder zurück zu seiner Einheit an die französische Kanalküste, nahe Calais. Als Sophie Scholl ihm am 21. Oktober schreibt, sagt sie unverblümt, sie habe ihm nicht viel zu sagen, es habe sich nicht viel ereignet, seit er weg sei. Dann moniert sie: »Was mir in diesen Tagen gefehlt hat, das waren einige Tage, die mir allein gehört hätten.« Das brauche man, selbst in der Umgebung der liebsten Menschen, so nötig wie Essen und Trinken. Dananch fällt ihr ein, Fritz Hartnagel sei wohl »ein bisschen zu kurz gekommen. Durch meine Schuld. Aber wie sollte es anders gehen?« Ziemlich wortkarg, dieser Brief, und auch die guten Wünsche klingen, als wollte Sophie Scholl den Konventionen Genüge tun. Sie hoffe, dass er in seinem Kreis nette Menschen findet – »aber leider kann ich gar nichts dazu tun«. Es folgt ein Trost, der ebenso sie selbst entlasten soll: »Im übrigen glaube ich, dass Du es in letzter Zeit sehr wohl auch allein aushalten kannst. Ich habe das in Deinen letzten Briefen mit großer Freude gemerkt. Nur wäre es schade, wenn irgendeine Bitternis in Dir zurückbliebe.« Nichts über die Gespräche in Ulm, auf die beide ihre Hoffnungen gesetzt hatten.
Fritz Hartnagel schweigt, keine Briefe. Sophie Scholl allerdings bleibt dran, meldet sich alle zwei Tage. Das Bemühen ist überdeutlich, Normalität herzustellen: »Sieh Dich auch nach einem Hund um, Fritz, den Du mir das nächste Mal bringen kannst.« Ihr Vater erlaube ihr nicht, einen zu kaufen. Dazu ein lockerer Versuch in Selbstkritik: »Aber gelt, dauernd will ich. Ich bin ein grausamer Egoist. Und scheine es immer mehr zu werden.« Vom 26. Oktober hat sich eine Tagebuchnotiz Sophie Scholls erhalten: »Wie schwer ist es doch, das tägliche Tun und Handeln mit seinem Wesentlichen in Einklang zu bringen … Ich bin zu müde, es zu ändern, wie viele Menschen sind müde.
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