Sophie Scholl
Gefühle zu zeigen. Auch für Sophie Scholl, die so viel Wert auf Unabhängigkeit legt: »Ich bin im Grunde so froh, dass nun jedes Gefühl in mir so ungezwungen ist für Dich, nun, nachdem wir uns freigemacht haben.« Sie fühlt sich bestätigt, ohne aufzutrumpfen: »… und wenn man auch oft Sehnsucht bekommt nach Wärme und Geborgenheit bei dem andern, so ist es doch herrlich, seine Freiheit zu fühlen, in einer kalten, aber klaren Luft.« Es ist ein Widerspruch, aber ein produktiver: »Und doch fühle ich mich Dir näher verbunden wie zuvor, nun, da wir ganz frei einander gegenüber treten können.« In dieser Freiheit schreibt Sophie Scholl ihrem Fritz am 28. Februar einen wunderschönen Liebesbrief. Sie suche in ihrer »Abgeschafftheit« in Gedanken bei ihm Halt: »Denn ich weiß ja, dass ich auf Dich bauen kann, dass Du mich liebst. Deshalb müssen wir uns ja nicht binden. Ich merke, wie ich Dich von neuem, anders, lieb gewinne. Ich habe Dich gern um des Guten willen, das in dir ist …« Fritz Hartnagel soll wissen, dass sie mit ihm kein Spiel getrieben hat, als sie tiefgehende Veränderungen in ihrer Beziehung forderte: »Denn nun bist Du, und erst jetzt, richtig gewillt, zu mir zu finden.«
Fritz Hartnagel hat Sophie Scholls Bedingungen akzeptiert, ohne Abstriche und ehrlichen Herzens. Das gibt auch ihm die Freiheit, offen zu sprechen. Um ganz ehrlich zu sein, schreibt er Mitte März, es sei »das Geschlecht«, das bei ihm »oft eine erschreckend große Rolle« spiele. Damit kommt er auf einen wesentlichen Punkt ihrer Gespräche und Übereinkünfte zurück. Nach dem Urlaub in Ulm sei zwar die Versuchung dieselbe, aber die Umstände seien andere, er fühle mehr Halt: »Mir ist es, als ob wir gemeinsam dagegen ankämpfen würden, als ob Du bei mir wärest und mir beistehen würdest, das Gute zu tun.«
Einen sehr persönlichen Brief hat Sophie Scholl nach dem Urlaubsende geschrieben, aber nicht abgeschickt. Darin heißt es, sie habe zusammen mit Inge gebadet – »Wir verstehen uns immer gut beim Baden« – und erstmals mit ihr über Fritz gesprochen. Es liegt ihr daran, dass die nächsten Menschen sich kein falsches Bild von ihr machen. Allerdings habe sie nicht den Mut gehabt, ihrer Schwester über die wirklichen Veränderungen in der Beziehung zu erzählen. Die Einzige, mit der sie offen über sich selber spricht, ist und bleibt Lisa Remppis. Als die Freundin ihr Anfang des Jahres schreibt, zwischen ihr und Hans Scholl sei es nun endgültig aus, empfiehlt Sophie Scholl ihr, sie könnte mit Hans »bewusst auf einer ganz anderen Ebene anfangen (wie bei mir und Fritz)«. Daraufhin antwortet ihr Lisa »etwas belustigt von wegen der Freundschaft mit Fritz«: Ob das nicht »ein klein wenig Sprüche« seien. Wenn man einmal Schluss gemacht hat, könne es nach ihrer Meinung keine Freundschaft mehr geben. Sophie soll ihr aber nicht böse sein, »ich kann Dir doch sagen, was ich denke, nicht wahr?«
Lisa Remppis kann es. Sophie Scholl fühlt sich herausgefordert, noch genauer zu sagen, worum es geht. Die Zeit reiche ihr nicht, sich in der Sache mit Fritz zu rechtfertigen. Allerdings sehe Lisa die Dinge zu sehr aus dem Blickwinkel des letzten Herbstes. Damals hatte sie der Freundin offenbart, es sei »noch etwas vorgekommen«, obwohl sie sich doch eigentlich trennen wollte. Im Frühjahr 1941 jedoch gilt: »Denn alles Sinnliche, was sehr roh gesagt, doch der Hauptanziehungspunkt zwischen uns (zwischen Mann und Frau überhaupt ist), habe ich ja ganz ausgeschaltet, wenigstens in Taten. Und ich versuche es auch in Gedanken und Gefühl. Es wird mir schon gelingen. Alles andere ist rein eine Sache des Willens.« Der Unterschied zum Herbst ist entscheidend: Diesmal weiß sie Fritz Hartnagel auf ihrer Seite. Einmal in dem Bemühen, sich von »allem Sinnlichen« frei zu machen, und zweitens diese Freiheit zu nutzen für ein ganz großes Ziel. Denn davon hat Sophie Scholl nicht abgelassen, seit dieser Wunsch in ihr übermächtig wurde und die Krise in ihrer Beziehung auslöste.
Anfang März 1941 stellt sie Fritz Hartnagel wieder die gleiche Frage, allerdings in einem anderen Ton: »Sollte man überhaupt Geborgenheit, Sicherheit bei einem Menschen suchen? Sollte der Gegenstand dieser Sehnsucht nicht ein anderer sein?« Wie sehr dies inzwischen eine rhetorische Frage ist, zeigt die Antwort von Fritz Hartnagel: »Nun, nachdem wir uns verbunden fühlen (nicht gebunden), nachdem kein Misstrauen mehr zwischen uns ist, nun erst
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