Sophie Scholl
Strümpfe gekauft. Wir dürfen aber vorerst keine Päckchen wegschicken. Schreib mir, was Du brauchen kannst, bevor alles ausverkauft.« Sophie Scholl reagiert verblüfft auf dieses Angebot: »Kann man denn vom besetzten Gebiet überhaupt Päckchen schicken …?« Aber wenn es so ist, und »Du erwischt ein paar Schuhe, bin ich arg froh«. Sie nennt die Schuhgröße und fügt noch hinzu: »Überhaupt kannst Du mir derartig nützliche Dinge schicken, soviel Du magst (Rechnung natürlich mit), da ich ja auch bedürftige Schwestern habe.« Das Päckchen-Verbot wurde sehr bald aufgehoben, und Fritz Hartnagel war großzügig. Kaffee, Tee, Pralinen, Seife, Zigaretten, Strümpfe, Schuhe und Kleidungsstücke kamen regelmäßig mit der Post nach Ulm, ohne Rechnung.
Als deutsche Finanzbeamte im besetzten Belgien mit Entsetzen feststellten, dass in kürzester Zeit Millionen Reichsmark von Verwandten und Freunden an die Soldaten überwiesen wurden für Einkäufe von Waren, die es in Deutschland nicht oder kaum gab, schlugen sie Alarm. Der Geldabfluss sei katastrophal, die erlaubten Beträge müssten drastisch gesenkt werden. Doch von dieser sachlichen Kritik wollte in Berlin niemand etwas wissen. Es ging darum, die Heimatfront bei guter Laune zu halten, um jeden Preis. Das war die politische Leitlinie von ganz oben, von der während des gesamten Krieges nicht abgewichen wurde. Die Modalitäten wurden allerdings geändert. Die Soldaten wechselten ihr Geld nun am Standort, und so floss es zurück nach Deutschland, während die Währungen der besetzten Länder ruiniert wurden.
Den Generälen nach siegreichen Schlachten Orden zu verleihen, reichte nicht mehr. Der durchschnittliche Deutsche, die kleinen Leute, sollten handgreiflich erfahren, dass der Krieg sich lohnte, zumindest erträglich war. Wohltaten wurden von den Nationalsozialisten gezielt eingesetzt, um ihre Herrschaft zu sichern. Dass diese Methode auch bei nachdenklichen Menschen, die dem Regime feindlich gesinnt waren, funktionierte, beweisen die Scholls. Auch Hans Scholl, der in Frankreich eingesetzt war, schickte bis zu seiner Rückkehr im September 1940 eifrig Tee und Kaffee, Schokolade, Seife und Bücher oder aus Paris einen Kupferstich, Badeanzug und ein Polohemd für Sophie, von dem sich sofort Werner Scholl ein gleiches Exemplar wünschte. Als von Fritz Hartnagel aus Amsterdam eine ungarische Jacke aus weißer Wolle mit blauer Stickerei ankam, geniert sich Sophie Scholl für ihre »unverschämte Bitte«, fragte aber doch an, ob er auch noch einen weißen Wollstoff für den Faltenrock zur Jacke beschaffen könne. Und fügte hinzu, dass sie eigentlich ein Paar Schuhe viel nötiger habe, Größe 39, weil sie außer den Skistiefeln keine wasserdichten besitze und dauernd Erkältungen bei Regenwetter habe.
Fritz Hartnagel konnte großzügig sein. Hitlers Soldaten wurden gut bezahlt, auch das war ein Baustein der »Gefälligkeitsdiktatur«. Anfang März schlägt Fritz Hartnagel vor, Sophie Scholl – »falls es mit Deinem Studium klappt« – für die Dauer des Krieges sein monatliches Gehalt, etwa 200 Reichsmark, zu überweisen. Sie müsse sich dadurch keineswegs gebunden oder verpflichtet fühlen, ohnehin verdiene er im Krieg nahezu 500 Reichsmark (rund 5000 Euro). Sophie Scholl dankt ihm und möchte ein andermal darüber reden.
War es so schwierig zu erkennen, dass Hitlers Eroberungs- und Vernichtungskrieg auch ein Krieg war, der die besetzten Länder ausraubte, ihre Währungen und Volkswirtschaften ruinierte? Zumal sich die deutschen Soldaten von den Nahrungsmitteln ernährten, die eigentlich den Einheimischen zustanden. In kürzester Zeit gab es von Holland bis Frankreich Schwarzmärkte, die Inflation stieg, die Einheimischen wussten nicht mehr, wie sie satt werden sollten. »Doryphores« – Kartoffelkäfer – nannten die Franzosen bitter jene deutschen Soldaten, die schwer bepackt vom Gare de l’Est heimwärts fuhren. Der junge Heinrich Böll, an der französischen Kanalküste stationiert, packt an einem Nachmittag in seiner Unterkunft elf Pakete und schreibt am Ende seines Begleitbriefes: »In Paris könnte ich dann überhaupt noch manches Schöne kaufen …« Was für Böll gilt, betrifft ebenso die Scholls: An diesem Teil des verbrecherischen Systems partizipierten sie, so sagen es ihre Briefe, ohne schlechtes Gewissen.
Ganz verdrängen ließ sich der Krieg allerdings an der Heimatfront nicht mehr. Am 1. März 1941 flogen die Bomber der britischen Royal
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