Sophie Scholl
Air Force einen ersten Luftangriff auf Köln. Mindestens 25 Menschen starben, und 150 Häuser wurden zerstört. Schon im Februar hatte die Evakuierung von Kindern aus dem Ruhrgebiet, mit und ohne Mütter, für Wochen und Monate in bombensichere Gegenden wie Württemberg begonnen. Lina Scholl war bereit, ein »Rheinlandkind« aufzunehmen. Am 25. Februar ging Sophie Scholl zum Bahnhof, um es abzuholen. Später im Söflinger Seminar macht sie in einer Pause einen Briefentwurf: »Ich war heut morgen ein bisschen enttäuscht, als statt des erwarteten 3jährigen ein bald 8jähriges ankam. Er hat aber ein so nettes Gesichtchen, so nette Augen, dass ich schon ausgesöhnt bin. Als er kam, fassungslos schluchzend, da bekam ich geschwind eine große Wut auf den Krieg, aber natürlich zwecklos.« Otl Aicher, der aufgrund des Abitur-Verbots viel freie Zeit hat, verstand sich gut mit dem kleinen Winfried aus Essen.
Je länger der Krieg dauerte, je mehr kriegerische Pläne die Herrschenden machten, um so mehr Soldaten wurden gebraucht. Männer, die im Berufsleben fehlten – in den Ämtern, den Fabriken, auf den Bauernhöfen. Der Reichsarbeitsdienst (RAD), ursprünglich nur für junge Männer verpflichtend, zog immer mehr Mädchen und junge Frauen ein, um die Lücken in der Arbeitswelt zu füllen. Je näher die Abschlussprüfungen in Ulm-Söflingen rückten, desto zahlreicher wurden Sophie Scholls Seufzer. »Ich würde so gerne an Ostern zu studieren anfangen«, schrieb sie am 29. Januar 1941 an Lisa Remppis. Sie wusste, wie groß das Fragezeichen hinter ihrem Wunsch war. Um dem RAD mehr weibliche Arbeitskräfte zuzuführen, verlangten immer mehr Universitäten von angehenden Studentinnen den RAD-Nachweis. Wer schließlich eingezogen wurde, das war – wie bei vielen Institutionen im nationalsozialistischen Staat – reine Willkür; Aufbegehren war nicht nur zwecklos, sondern gefährlich.
Anfang März sah Sophie Scholl noch »ein wenig Aussicht zum Studieren« und versuchte, sich die Gegenwart nicht von der ungewissen Zukunft verdüstern zu lassen. Am 7. März 1941 wanderte sie mit Susanne Hirzel, die ein Jahr mit ihr in Söflingen die Ausbildung durchlaufen hatte, den ganzen Tag lang auf der Alb. Am Abend schrieb sie an Fritz Hartnagel: »Wir blieben, wo’s uns gefiel, liefen, wie’s uns gefiel, tranken Most und aßen Spiegeleier und lebten herrlich und in Freuden. – Meine Prüfung hab ich hinter mir und sehe einigermaßen erwartungsvoll meiner Zukunft entgegen. … ever yours Sofie.« Am 22. März erhielt sie ihr Abschluss-Zeugnis. Sophie Scholl hatte insgesamt »Gut bestanden« und war nun befähigt, »als Kindergärtnerin und Hortnerin in Familien, Kindergärten, Horten und Kinderheimen tätig zu sein«. Gleichmäßig waren die Noten verteilt: »Gut« in allen theoretischen Fächern – Erziehungskunde mit Seelenkunde, Hort- und Heimkunde, dem schriftlichen Prüfungsaufsatz – und »Befriedigend« in den praktischen Fächern – der Arbeit im Hort, die häusliche Kinder- und Krankenpflege. Ein »Sehr gut« gab es für Deutsch und Jugendschrifttum – dagegen für Volks- und Staatskunde nur ein »Befriedigend«.
Von der schlechten Nachricht, die am gleichen Tag eintraf, erfuhr Fritz Hartnagel als Erster und auch, wie entschlossen Sophie Scholl war, sich auf keinen Fall ihre innere Freiheit nehmen zu lassen: »Ich muss in den Arbeitsdienst. Ich habe mich aber mit dieser nächsten Zukunft schon zufrieden gegeben. Ich versuche immer so schnell wie möglich zu akklimatisieren (auch in und an Gedanken), damit erreicht man die größte Unabhängigkeit von allen, angenehmen und unangenehmen Umständen.« Wie oft hatte sie Fritz beschworen, sich keinen Stimmungen zu überlassen.
Am 23. März packte sie gut gelaunt Päckchen, zusammen mit ihrer ältesten Schwester, auch für Fritz Hartnagel ist eins dabei. Es war Sonntag und sie hatte vor, noch einen Spaziergang zu machen: »Dann hol ich mir ein Zweigchen, denn die Blattknospen brechen in der Zimmerwärme innerhalb einiger Tage auf und heraus schlüpfen so nette Frühlingsblättchen.« Aus dieser Idee entwickelte sich ein guter Rat für ihren Fritz: »Mach Dir nur nicht zu viel Arbeit, der Krieg läuft auch so weiter. Und noch viel mehr als der Krieg läuft weiter, Gott sei Dank, zum Beispiel der Frühling. Herzliche Grüße Sofie und Inge.« Nur drei Tage zuvor hatte Inge Scholl in ihr Tagebuch geschrieben: »Sofie darf ich nicht vernachlässigen, die meine Liebe braucht. Es
Weitere Kostenlose Bücher