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Sophie Scholl

Sophie Scholl

Titel: Sophie Scholl Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Barbara Beuys
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bei den politischen Schulungen besser verfolgen zu können. Im Büro war es warm.
    Fräulein Recknagel hatte offensichtlich ein gutes Gespür, dass auf Sophie Scholl, auch wenn sie in der Bibel las, Verlass war. Unter den neidvollen Blicken der anderen Frauen bekam Sophie Scholl in der zweiten Aprilhälfte ein Fahrrad nebst Wurststullen-Proviant ausgehändigt. Sie war die Erste, die das Gelände seit der Ankunft verlassen durfte, um im zehn Kilometer entfernten Sigmaringen Karton einzukaufen. Die Privilegien trübten jedoch Sophie Scholls Blick nicht: »Es ist wirklich trostlos hier«, schreibt sie am 1. Mai an Hans Scholl, »wenn man nicht hin und wieder auskneifen könnte, wäre es sogar geisttötend.« Sie ist gerade ausgekniffen, sitzt im Park und könnte sich »ein Jahr lang allein mit dem Himmel unterhalten … Dieser Park ist mir ein gewisser Trost. Ich hoffe, dass ich ihn Dir bald einmal zeigen kann. Übrigens freue ich mich immer mehr aufs Studieren, und bin glücklich, dass ich schon ein Sechstel meiner Zeit hinter mir habe.« Der größte Trost jedoch blieben die Bücher.
    Manchmal kommt sie auch in der Mittagspause zum Lesen, zum Beispiel am 10. April in Thomas Manns »Zauberberg«. Am Abend schreibt sie über die Mann-Lektüre ins Tagebuch: »Ich glaube, er ist nicht so ganz zu verwerfen, oder besser beiseite zu stellen, wie Otl das tut. Es ist sehr exakt gedacht. Und vor allem gedacht . Ich glaube, das weiß Otl nicht.« Wem es wie Otl Aicher in der Literatur einzig und allein um Wahrheit geht, dem kann die Figur des Hans Castorp im »Zauberberg« nicht gefallen, der auf seiner Suche nach einem letzten Sinn nur »Glaubenslosigkeit und Aussichtslosigkeit« findet. Otl Aicher ist der Experte für die letzten Dinge, für Thomas von Aquin und Augustinus. Doch wenn es um Literatur geht, kennt Sophie Scholl sich aus und stützt sich auf ihr eigenes Urteilsvermögen. Auch in Krauchenwies ist Rilke dabei, und im Juni wird Lisa Remppis ihr schreiben: »Wenn Du die Verlaine-Gedichte bei Dir hast, musst Du das eine lesen ›il pleut doucement sur la ville‹.« Die Freundin weiß, wie sehr Sophie Scholl französische Lyrik schätzt.
    Unangefochten nimmt einer bei der täglichen Lager-Lektüre, vor allem am Abend, den ersten Rang ein: Augustinus, der Kirchenvater, Bischof und einflussreicher Theologe. Sophie Scholl liest das Augustinus-Buch des Jesuiten Erich Przywara, »Gestalt und Gefüge«, mit dem Otl Aicher erst Ernst Reden und dann Inge Scholl durch das Versprechen täglicher Augustinus-Lektüre in einen Bund verflochten hat.
    Es war Inge Scholl, die dafür sorgte, dass dieser Bund um Sophie erweitert wurde. Sie steckte ihr den Augustinus-Band ins Gepäck für Krauchenwies. Am Abreisetag, noch bevor Sophie Scholl im Lager angekommen war, gab Inge in Ulm eine Karte an die Schwester auf die Post. Sie habe vergessen, ihr zu sagen, sie solle sich nicht mit den Einleitungen im Augustinus-Buch abgeben: »Lies Abschnitt für Abschnitt, du wirst viel davon haben.« Außerdem berichtete sie ihr, dass Otl, Ernst und sie täglich »unter jeglichen Umständen« darin lesen – »und jetzt bist auch Du in den geheimen Verbund einbezogen«. Inge Scholl vertraut der Jüngeren an, sie habe im Augustinus-Text »den Ur-Heimat-Grund« ihrer Seele gefunden und wünscht, dass Sophie ähnlich empfinden möge.
    Brief Sophie Scholls vom 1. Mai 1941 aus Krauchenwies an Hans Scholl
    Eine Pflicht war die tägliche Augustinus-Lektüre für Sophie nicht, vielmehr eine Herzensangelegenheit, und vieles war ihr durch die Gespräche mit Otl Aicher bekannt. Die geistige Liebe, für die Augustinus warb und die Sophie in ihrer Beziehung zu Fritz Hartnagel zu praktizieren suchte, war kein Selbstzweck, sondern Mittel zu dem Ziel, nach dem sich Sophie Scholl so sehr sehnte. Sie habe, hatte sie Fritz im Oktober 1940 geschrieben, »immer größere Sehnsucht bekommen nach einem Grund, der mir immer ist, unabhängig von jeglichen Einflüssen«. Ihre Familie, »der schöne warme Kreis«, genügte ihr nicht mehr. Weil sie diesen Grund nicht besaß, fühlte sie sich manchmal verlassen. Wer verlassen ist, hat Angst; wer Angst hat, wird von Unruhe beherrscht. Augustinus sah in der »fleischlichen Begierde« des Menschen die Ursache für Schmerz und Irrtum, Getriebenheit und Furcht. In dem Augenblick, wo der Mensch sich von seiner Begierde abwendet und umkehrt, ist der Weg zu Gott frei, kehrt Ruhe ein in sein unruhiges Herz. Der Kirchenvater hat eine

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