Sophie Scholl
Bücher, die unter Interessierten Aufsehen erregten, wie »Satire und Polemik«, »Schöpfer und Schöpfung«, »Was ist der Mensch?«. Hatte Hans Scholl den von Otl Aicher eingeführten Haecker noch im Frühjahr 1941 für dessen »katholischen Standpunkt« in »Satire und Polemik« kritisiert, lernte er ihn im Laufe des Jahres durch weitere Lektüre mehr und mehr schätzen. Haecker gehörte zu den Intellektuellen der Weimarer Republik, die Hitler und den Nationalsozialismus kompromisslos bekämpften. Am 20. Mai 1933 wurde Theodor Haecker für einen Tag von der Gestapo in Haft genommen. 1936 erhielt er Rede-, 1938 totales Schreib- und Publikationsverbot.
Im »Hochland« wurde nach dem März 1933 der Kampf gegen Hitler und seine Bewegung verdeckt weitergeführt, auf einem intellektuellen Niveau, dem der Zensor nicht folgen konnte. Niemals fiel im »Hochland« der Name Hitler, kein Artikel beschäftigte sich je mit dem Nationalsozialismus. Die Gegenwartskritik fand statt im Gewand antiker Geschichte, mittelalterlicher Konflikte zwischen Kaiser und Papst und Verfassungsdiskussionen des 19. Jahrhunderts. Die Auflage stieg bis 1939 auf 20 000. Im April 1941 musste Carl Muth das »Hochland« einstellen, er bekam kein Papier mehr. Otl Aicher schätzte das »Hochland«, Haecker kam als Autor für ihn gleich nach Thomas von Aquin. Anfang 1941 schickte er einen Aufsatz an Muth und hoffte, er würde ihn im »Hochland« publizieren. Muth lehnte ab, aber er lud den Achtzehnjährigen ein, ihn in Solln zu besuchen. Noch bevor Otl Aicher nach München fuhr, schrieb er an seinen Freund Willi Habermann: »Oh, ich bin so froh, dass ich nun einen Mann gefunden habe, der mir ein Vater sein könnte.« Es entwickelte sich ein vertrautes Verhältnis zwischen den beiden. Aicher besucht den Sommer über immer wieder Carl Muth, trifft dort Theodor Haecker und übernachtet meist bei Hans Scholl in dessen Studentenzimmer. Seine Begeisterung für Muth wird Hans, aber auch Inge Scholl angesteckt haben.
Hans Scholl, kommunikativ und wissbegierig, suchte den Kontakt zu Menschen, die ihm etwas bedeuteten. Als er mit Inge Scholl am 24. August 1941 auf der Bank im Garten von Solln saß, hatte Carl Muth nicht viel Zeit für seine beiden Gäste. Aber zu einem kurzen Gespräch kam es doch noch, über Pascal und den Dichter Stefan George. In ihrem Rückblick auf diese Begegnung hat Inge Scholl nach dem Krieg über Carl Muths »Anmut und Würde« geschrieben, über seine »beglückende Bereitschaft zu Vertrauen, Hingabe, Verständnis«. Zweifellos hat er die beiden an jenem heiteren Nachmittag in seinen Bann geschlagen. »Dieser Mensch kann einen wahrhaft begeistern«, sagte Hans Scholl auf dem Heimweg. Sie würden Muths herzliche Einladung, wiederzukommen, gewiss annehmen.
Die Rückkehr ins Lager Ende September muss für Sophie Scholl nach den schönen Tagen in Ulm ein Schock gewesen sein. Am 3. Oktober schrieb sie an Lisa Remppis: »Nun sitze ich wieder hier und drücke mich mit viel Erfolg um die Arbeit. Ein faules, langweiliges, unzufriedenes Dasein. Allmählich werde ich schwermütig.« Eine Entscheidung über das zweite Gesuch der Eltern war noch nicht gefallen: »Immer noch habe ich nicht ganz die Hoffnung aufgegeben, dass ich loskomme, um meiner kranken Mutter zu helfen.« Doch langsam verflüchtigte sich der hochgemute Durchhaltewillen. Die Ungewissheit zermürbte. Sophie Scholl erlebte, dass nicht alles mit dem Kopf gesteuert werden konnte. In diese Stimmung kommt ein Brief von Inge Scholl, geschrieben am 2. Oktober.
Es ist ein froher Brief, noch in Gedanken an das schöne Zusammensein mit der Schwester: »Ich glaube, wir sind uns in diesen 14 Tagen so nahe gekommen wie noch nie (es sei denn auf Fahrten früher und auf ganz andere Art.) Der Gedanke an Dich ist mir geradezu wie eine wärmespendende Stelle in meinem Innern. Welches Glück, einen solchen Menschen als Schwester zu haben. Und Sofie, lass uns immer weiter bemühen um das Eine, die große Seligkeit.« Eine Aufforderung, die auf gemeinsame Augustinus-Lektüre schließen lässt in den Urlaubstagen. »Denn wenn ich Dich, meinen Gott, suche, suche ich das selige Leben«, heißt es in den »Bekenntnissen«. Der Wegweiser scheint endgültig auf die Suche nach Gott gestellt.
An diesem Tag hatte es für Inge Scholl einen Abschied gegeben: »Otl ist nun heute fortgezogen und hat, das darfst Du wohl wissen, einen großen leeren Raum hinterlassen in mir. Aber es ist so ganz ohne Bitterkeit,
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