Sophie Scholl
Gegensatz zum Münchner Studentenleben. Mitte Juli wollte Sophie Scholl sich nach langer Zeit wieder mit Lisa Remppis in Ulm treffen. Vielleicht auch, um einen letzten Rest Verstimmung aus dem Weg zu räumen. Lisa Remppis hatte Mitte Juni ihrer ältesten Freundin eine gedruckte Verlobungsanzeige geschickt, ohne ein persönliches Wort hinzuzufügen. Sophie Scholl ist den Tränen nahe. »So etwas von einem nächsten Menschen zu erhalten,« schreibt sie in ihr Tagebuch. Aber dann passte das Treffen, das Lisa Remppis vorschlug, nicht in ihren Zeitplan. »Heute erfuhr ich, dass Du morgen nach Ulm kommen willst,« schreibt Sophie Scholl am 10. Juli an Lisa. »Nun ist es zu einer Verständigung zu spät. … Ich bin gerade mitten im Zeichnen – mit einem Freund zusammen halte ich mir ein Modell und wer weiß, ob sich diese Gelegenheit wieder so günstig bietet.«
Der Freund ist Alexander Schmorell, Medizinstudent mit ähnlich vielseitigen künstlerischen Begabungen wie Sophie Scholl und eng mit Hans Scholl befreundet. In der Villa seines Vaters fanden die literarisch-philosophischen Abende unter Gleichgesinnten statt. Mit Alexander Schmorell teilte sich Sophie Scholl in der Harlachinger Villa ein Modell; er modellierte, sie zeichnete. Mit den Stunden wuchsen ihre Gefühle für den schlanken, stets elegant gekleideten jungen Mann. Traute Lafrenz hat ihn beschrieben: »Er war einfach wunderbar, sehr gefühlvoll, unglaublich begeisterungsfähig, ein junger Mensch mit viel positiver Ausstrahlung.« Schmorell, 1917 in Russland geboren, sprach fließend Russisch, da ihn, nach dem frühen Tod seiner russischen Mutter, eine russische Kinderfrau in München aufgezogen hatte. Dorthin war der Vater, ein angesehener Mediziner, aus Russland zurückgekehrt. Die Liebe zu seiner mütterlichen Heimat, sein fester orthodoxer Glaube und ein starkes Unabhängigkeitsgefühl machten ihn immun gegen die Verführungen des Nationalsozialismus. Dass er zur Wehrmacht eingezogen wurde und einen Eid auf den »Führer« leisten musste, steigerte noch seinen Hass auf das braune Regime.
Sophie Scholl schloss ihren Brief an Lisa mit der Nachricht: »Zur Zeit ist Inge hier, bei Professor Muth.« Inge Scholl war tags zuvor, am 9. Juli, in München angekommen und würde bis zum 18. bleiben. Sie nahm am Studentenleben von Sophie und Hans Scholl teil, ging mit den Geschwistern in Konzerte und Lokale. Der Aufenthalt war für Inge Scholl allerdings nicht so sorglos, wie es nach außen schien. Noch am Tag ihrer Ankunft schüttete sie Ernst Reden in einem Brief ihr Herz aus: »Seit der Berührung mit der Gestapo im Februar ist mein Herz zuweilen solchen starken Überschwemmungen von Angst ausgesetzt, dass jeder Versuch, mir selbst Mut zuzusprechen, wie eine Seifenblase ist. … Nie hätte ich gedacht, nachdem die Angst in meiner Kindheit in seltsamster Form sich in mir ausgetobt hatte, nun noch einmal in inniger Weise von ihr gerüttelt zu werden.« Die Angst kam nicht von ungefähr in ihr hoch, nachdem die Geschwister Hans und Sophie sie am Münchner Bahnhof abgeholt und nach Solln begleitet hatten. Ihr unsichtbares Gepäck wog schwerer als das, was sie sichtbar mit sich trug. Kurz nach dem Krieg hat Inge Scholl in ihren »Erinnerungen an München« aufgeschrieben, mit welcher Belastung sie im Juli 1942 ihren Urlaub antrat:
»In Ulm hatte man mir kurz zuvor von zwei Seiten anonym zugesandte Flugblätter mit seltsam fragenden Augen gezeigt, die in München abgestempelt waren. Ich wagte sie nicht einmal zu lesen, um nicht aus dem Stil die volle Gewissheit zu bekommen, dass sie von Hans seien. … Aber hat man Macht über seine Ängste und Gedanken? Mit aller Gewalt wollte ich es, bei den Folgen aus solchen Dingen, nicht wahr haben, dass sie von Hans seien, und doch ließ sich die Spur einer hartnäckigen und hellsichtigen Ahnung nicht wegfegen.« Auch wenn Inge Scholl es nicht ausspricht, war Sophie in diese Ängste eingeschlossen. Am zweiten Urlaubs-Vormittag in Solln kommt der Schriftsteller Werner Bergengruen, um seinen Nachbarn Carl Muth und den Gast aus Ulm zu besuchen. Er erzählt von Flugblättern mit brisantem Inhalt und der Überschrift »Die Weiße Rose«. Er und seine Frau hätten sie sogleich abgeschrieben, die Abschriften anonym an Bekannte adressiert und möglichst unauffällig in Münchner Briefkästen geworfen. Sophie Scholl, die an diesem Morgen aus der Stadt gekommen war, lachte, zugegeben eine seltsame Reaktion. »Aber Kind!«, entfuhr es Carl
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