Sophie Scholl
nichts zu tun haben, und es war mein Ziel, die heutige Staatsform zu beseitigen.
Auch wenn die Fragen nach dem »Warum« immer wieder auftaucht: Warum sich nicht an Sophie Scholls eigene Erklärung halten, dass es Übermut oder Dummheit war? Es ist banal, es ist tragisch. Und es fällt schwer, die Verknüpfung von beidem zu akzeptieren. Übermut oder Dummheit – wirklich nicht mehr? Das allerdings ist ein Kurzschluss, denn ein dummer Zufall löscht den Entschluss nicht aus, der hinter der Tat steht.
21. Februar, Sonntag – Das Verhör von Sophie Scholl war mit der Vernehmung am Samstag abgeschlossen. Da die Studentin im Wesentlichen geständig war, hatte der Oberreichsanwalt beim Volksgerichtshof in Berlin genug Material, um die Anklageschrift auszustellen. Und der Haftrichter in München konnte den Haftbefehl erlassen. An diesem Sonntag wird Sophie Scholl dem Haftrichter Dr. Zeller vorgeführt. Das Protokoll nimmt ihre Erklärung auf: »Ich bleibe in vollem Umfang bei meiner Aussage stehen und mache sie zum Gegenstand meiner jetzigen gerichtlichen Vernehmung.« Darauf hin wird der Haftbefehl »gegen die Beschuldigte Scholl, Sophie Magdalena« verkündet: »Die Beschuldigte ist der gemeinschaftlichen Vorbereitung eines hochverräterischen Unternehmens, der gemeinschaftlichen Feindbegünstigung und der gemeinschaftlichen Wehrkraftzersetzung verdächtigt. Ein Haftbefehl wird erlassen, weil bei der Schwere der Straftat Fluchtgefahr besteht.« Gemeinschaftlich: Der Haftbefehl mit den gleichen Anklagepunkten wird an diesem Tag ebenfalls Hans Scholl und Christoph Probst verkündet.
Um die Mittagszeit erscheint Robert Mohr in der Zelle und bringt Obst, Kekse und Zigaretten. Sophie Scholl hat nicht verschwiegen, dass sie Raucherin ist. Gegen 3 Uhr wird ihr die Anklageschrift ausgehändigt. Der Oberreichsanwalt beim Volksgerichtshof in Berlin hat sie an die Verwaltung im Hausgefängnis der Geheimen Staatspolizei München, Brienner Straße 50, geschickt. Einwände sind möglich bis Montag, 22. Februar 1943, 8 Uhr; Termin der Hauptverhandlung ist Montag, 22. Februar 1943, 10 Uhr. Ein ordentliches Verfahren kann mit diesen Fristen schwerlich durchgeführt werden.
Nach der Aussage von Else Gebel zittern Sophie Scholl die Hände, als sie mit dem Lesen beginnt. Aber bald beruhigt sie sich. Die Anklageschrift richtet sich gegen Hans Scholl, Sophie Scholl und Christoph Probst. Sie werden »derselben Handlung gemeinschaftlich« angeklagt – hochverräterisch mit Gewalt die Verfassung des Reichs zu ändern; die Wehrmacht zur Erfüllung ihrer Pflicht untauglich zu machen; Beeinflussung der Massen durch Herstellung und Verbreitung von Schriften; während des Krieges der feindlichen Macht Vorschub zu leisten; öffentlich den Willen des deutschen Volkes zur wehrhaften Selbstbehauptung zu lähmen und zu zersetzen. In drei Punkten werden die Anklagen ausgeführt, unter IV. heißt es: »Die Angeschuldigten sind im wesentlichen geständig gewesen.«
Sophie Scholl ist beim Lesen sehr ruhig geworden. Wir wissen, welches Wort für sie alles zusammenfasst, was sie dieser Anklage innerlich entgegenschleudert. »Freiheit« hatte Hans Scholl nächtlich in Farbe an den Eingang der Universität gemalt. Sophie Scholl hatte es am nächsten Morgen noch gesehen. Und das erste »Flugblatt der Weißen Rose«, das sie natürlich noch im Gedächtnis hat, endet mit dem Goethe-Zitat: »Und das schöne Wort der Freiheit / Wird gelispelt und gestammelt, / … Freiheit! Freiheit! Freiheit!« Als Sophie Scholl die Anklageschrift durchgelesen hat, schreibt sie unbemerkt in schöner gleichmäßiger Schrift – schließlich hat sie ihr Zeichen-Talent nicht verloren – auf die Rückseite der Akte zweimal das Wort »Freiheit«, einmal davon in Großbuchstaben. Dann dreht sie die Akte wieder herum. Niemand hat in den nächsten Tagen und Wochen auf die Rückseite geschaut. Erst Jahrzehnte später ist Sophie Scholls Botschaft an die Nachwelt entdeckt worden.
Spät am Nachmittag kommt noch der Pflichtverteidiger in die Zelle. Er gibt sich keine Mühe, Interesse zu heucheln, mit Sophie Scholl die Anklageschrift zu besprechen oder eine Verschiebung der Verhandlung auch nur in Erwägung zu ziehen. Er fragt, ob sie irgendeinen Wunsch habe, als sei ihre letzte Stunde schon angebrochen. Nach Else Gebels Aussage will Sophie Scholl von ihm nur zwei Dinge wissen. Ob Hans Scholl als Soldat das Recht auf einen Tod durch Erschießen hat? Ob sie mit dem Tod durch Erhängen oder
Weitere Kostenlose Bücher