Sophie Scholl
zum Jungvolk gehörte, erinnerte sich Jahrzehnte später: »Meine Mutter verbot mir das, da zu diesem Zeitpunkt noch Schnee lag und es sehr kalt war. Ich musste mit langer Überfallhose losgehen. Hans Scholl kam natürlich in kurzer Hose und erregte entsprechendes Aufsehen.« Bei den Wiblinger Mädchen aus Sophie Scholls JM-Gruppe ist in Erinnerung geblieben, dass ihre Führerin mit kurzen Söckchen heranradelte; egal, wie blaugefroren die Beine waren.
In diesem Frühjahr nahm Hans Scholl an einer Führungsschulung des Deutschen Jungvolks in den stillgelegten Ulmer Forts teil, und wieder erregte er Aufsehen. Er hatte mit seiner Gruppe eine Mutprobe eingeübt: »Hans Scholl kletterte bis in den Wipfel einer Fichte und ließ sich, mit Blick zur Fichte, hinunterfallen, wobei er sich im Fallen an den Ästen festhielt.« Unten wurde er von seinen Kameraden aufgefangen. Fünf, sechs Unter-Führer aus dem »Fähnlein Scholl« machten die Übung nach. Dem Augenzeugen ist in Erinnerung geblieben: »Sie löste allgemeine Verblüffung und Bewunderung aus.« Weitere Eindrücke an den Fähnleinführer Hans Scholl, die haften blieben: schneidig, zackig, eingebildet bis fanatisch.
Am 20. April 1935, wieder einmal »Führers Geburtstag«, legt Susanne Hirzel bei Fackelschein ihr feierliches Gelöbnis als neues Jungmädel im BDM ab. Die Ringführerin überreicht ihr das schwarze Halstuch und den Lederknoten. Es ist Inge Scholl: »Ihre Rede, die sie mit ruhiger Stimme gesprochen hatte, gefiel mir und ich suchte den Kontakt zu ihr. … So kam ich ins Haus Scholl und lernte die gleichaltrige Sofie kennen.« Bald sind Sophie Scholl und Susanne Hirzel, die aus einem Ulmer Pfarrhaus kam und die älteste von sechs Geschwistern war, Freundinnen. Durch Susanne Hirzel haben wir die erste nahe und differenzierte Schilderung von Sophie Scholl: ein junges Mädchen am Beginn der Pubertät, in ihrer Familie verankert und zugleich unbändig gewillt, sich in der Welt draußen zu erproben. Susanne Hirzels Aufzeichnungen sind besonders wertvoll, weil sie schon 1946 gemacht wurden, als die Eindrücke noch relativ frisch waren und noch keine Mythen die berühmten Toten umgaben. Entstanden sind sie als Brief an die Schriftstellerin Ricarda Huch, die ein Buch über die Geschwister Scholl und andere junge Widerständler plante.
»Wir lernten uns mit 14 Jahren (1935) im Jungmädelbund kennen. Sie war wie ein feuriger wilder Junge, trug die dunkelbraunen glatten Haare im Herrenschnitt und hatte mit Vorliebe eine blaue Freischarbluse oder eine Winterbluse ihres Bruders an. Sie war keck, mit heller klarer Stimme, kühn in unseren wilden Spielen und von einer göttlichen Schlamperei.« Die achtzehnjährige Inge Scholl verbrachte inzwischen eine Menge Zeit mit Schulungsarbeit in der Geschäftsstelle der HJ in der Bockgasse. Dorthin ging auch Susanne Hirzel, die bald nach ihrem JM-Eintritt Führerin einer Mädelschaft wurde, jeden Donnerstag. Für sie hatte Inge Scholl beim Unterrichten »etwas Gesetztes, Stetiges und wurde sehr geachtet«. Auch Inge Scholl organisierte Geländespiele und Lagerfeuer. Doch einen kurzen Haarschnitt hätte sie sich nie zugelegt; wild zu sein war nicht ihre Art.
Dagegen Sophie Scholl in den Jahren 1935 bis 1937, als sie mit Susanne Hirzel oft zusammen war: »Wir suchten die Gefahren. Wir schwammen durch die beiden mittleren Pfeiler der großen Ulmer Donaubrücke, weil dort die Wellen am gewaltigsten waren, und hielten uns dabei an der Hand. … Wir schaukelten in den höchsten Wipfeln der Tannen mit aller Kraft …« Wie sich die Bilder mit dem großen Bruder gleichen.
Neben der Härte, die Hans Scholl von sich und seinen Jungen verlangte, zeigte der Fähnleinführer eine ganz andere Seite. Einer, der damals bei einem Heimabend dabei war, erinnerte sich: »Hans Scholl machte bei Kerzenlicht eine eindrucksvolle Lesung aus dem ›Kornett‹ von Rilke, ohne weitere Erläuterung, nur der Text wurde vorgetragen. Mich als 14jährigen Jungen hat dieser Abend stark beeindruckt.« Im Jahre 1899 hatte der vierundzwanzigjährige Rainer Maria Rilke »Die Weise von Liebe und Tod des Cornets Christoph Rilke« geschrieben: »Reiten, reiten, reiten, durch den Tag, durch die Nacht, durch den Tag. Reiten, reiten, reiten. Und der Mut ist so müde geworden und die Sehnsucht so groß.« Im Jahre 1912 erschien die kurze Erzählung als Nummer eins der Insel-Bändchen; beide, die Buchreihe und der »Cornet«, wurden umgehend berühmt.
Die Jungen des
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