Sophie Scholl
nächsten Samstag? … Ich schreib nicht gern Briefe, ich weiß da nichts reinzuschreiben, was mich nicht nachher reut. Du kommst doch sicher bald mal her?« Das war am 2. Februar 1938. Am 26. Februar heißt es: »Du wunderst Dich bestimmt, dass ich Dir son Dreck schreibe. Aber ich muss manchmal was von mir runterschreiben, und wenn es noch so blöd ist. Wenn Dich der Brief ärgert, so zerreiß ihn bitte. … Man sollte nie aus einer Stimmung heraus schreiben. Das tu ich sonst auch nie. Aber darf ichs nicht einmal bei Dir, Fritz? Es erleichtert mich so. Es ist so dumm, dass Augsburg so weit weg ist von Ulm.« Wenige Zeilen zuvor hatte Sophie Scholl ihm einen Traum erzählt und bekannt: »Auf jeden Fall träume ich gerne, ich lebe da in einer seltsamen Welt, in der ich nie ganz froh bin …« Um, über sich selbst erschrocken, fortzufahren: »… aber trotzdem denk jetzt bitte nicht, ich sei schwärmerisch oder sentimental, da wehr ich mich schwer dagegen …«
Krampfhaft bemüht sie sich, ein Gespräch in Gang zu setzen. Doch das Echo bleibt aus, die Fäden werden auf der anderen Seite nicht weitergesponnen. Spätere Briefe werden zeigen: Auch Fritz Hartnagel weiß durchaus mit der Feder umzugehen, kann erzählen und sich in den Adressaten hineindenken. Offenbar hält er sich erst einmal zurück. Schreckt er zurück vor so viel Emotionalität und Jugend? Möchte er Sophie Scholl keine Hoffnungen machen, weil er sich über seine eigenen Gefühle ihr gegenüber nicht im Klaren ist? Bekommt er Angst vor den Erwartungen, die die Sechzehnjährige an ihn stellt?
Mitte Januar ergab sich ein winziger geistiger Austausch. Fritz Hartnagel erwähnt in seinem Brief den Dichter Manfred Hausmann. Endlich ein gemeinsames Thema. Sophie Scholl greift es sofort freudig auf: »Es ist fein, was Du über Hausmann geschrieben hast. Pass mal auf, ich schreib Dir einen Vers aus seiner ›Lilofee‹, der mir gerade einfällt. Das Sündige auf dieser Welt, ich glaube, das ist doch immerdar, wenn jemand für sich selbst behält, und sich nicht hingibt ganz und gar an das, was seine Sehnsucht war.« Ziemlich kess und eindeutig, was die sechzehnjährige Sophie Scholl dem zwanzigjährigen Fritz Hartnagel durch den Mund des Dichters mitteilt. Zwei-, dreimal hat sie mit ihm bis in den frühen Morgen getanzt, beim Kränzchen mit Freundinnen und Freunden, geredet, Briefe geschrieben – weil es in der Schulstunde so fad war. Man hat sich auch getroffen, aber immer mit einer Freundin oder im Kreis der Geschwister. Sophie Scholl ist verliebt, aber noch hat sie keine Zeichen erhalten, dass Fritz Hartnagel ihre Gefühle erwidert. Das verunsichert. Will sie ihn dazu provozieren? Eine Gedichtzeile als Botschaft?
Nach der Poesie wird Sophie Scholl ganz praktisch: »Lieber Fritz, ich würde so gerne etwas tun, dass du dich in Augsburg mehr zu Hause fühlst, nur die Bude nett herrichten oder so. Lachst du mich jetzt aus? Es ist fein, dass Du am 19. kommst. … Wenn es wärmer wäre, könnte ich ja mal nach Augsburg trampen.« Gedanken sind dazu da, in die Tat umgesetzt zu werden. Mitte April, es sind Osterferien, steht Sophie mit Lisa Remppis vor dem Augsburger Kasernentor. Sie wünschen, den Fähnrich Fritz Hartnagel zu sprechen. Da es schon später Nachmittag ist, können die beiden Mädchen nicht mehr zurück nach Ulm fahren – und ahnen nicht, wie sehr sie damit Fritz Hartnagel in Verlegenheit bringen. Die Übernachtung von weiblichen Wesen in der Kaserne ist streng verboten – aber er fühlt sich für die beiden verantwortlich. Fritz Hartnagel handelt gegen die Vorschriften: Er berät sich mit einem Freund, in dessen Stube er übernachtet, schleust Sophie Scholl und Lisa Remppis abends unbemerkt in seine Stube und am frühen Morgen wieder aus der Kaserne hinaus.
Im Nachhinein ist Sophie Scholl aufgegangen, was sie angestellt haben. Sie fühlt sich als die Ältere doppelt schuldig, weil sie Lisa zu diesem Streich angestiftet hat. Kaum ist die Freundin wieder bei ihrer Familie in Leonberg, schreibt ihr Sophie am 22. April: »Sorge bitte dafür, dass Deine Eltern auf keinen Fall erfahren von der Osterfahrt … Es wäre eine Katastrophe. Was nicht verboten ist, ist erlaubt. Bitte beruhige mich darüber, ich habe schreckliche Angst deshalb. Mit dem guten Ansehen von Fritz wäre es auch vorbei. Bitte Brief verbrennen.«
Im Mai gibt es Gelegenheiten zum Tanzen, und Sophie Scholl nutzt sie, auch wenn Fritz Hartnagel nicht in Ulm ist. Aber sie berichtet
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