Sophie Scholl
Anfang Juni schreibt er seiner Tochter Inge, die ihm im Büro sehr fehlt, er habe über »viele Monate fast immer nur Büroluft geatmet«: »Jetzt endlich bin ich mit meiner Arbeit so weit, dass ich auch leben kann wie andere Menschen.« Doch schon im August bemerkt Lina Scholl in einem Brief an ihre Tochter Inge: »Ich wäre schon froh, wenn Vater etwas entlastet würde, er bekommt immer mehr Arbeit und sollte sich verdoppeln können.« 1938 gab der Steuerberater Scholl in seiner eigenen Steuererklärung 12 212 Reichsmark zum Versteuern an. Um auf den ungefähren heutigen Wert zu kommen, kann man für eine Reichsmark zehn Euro rechnen. Die Scholls waren eine wohlhabende bürgerliche Familie geworden.
Bei aller Großzügigkeit – am Essen wurde nicht gespart, schöne Möbel und Bilder gehörten zur Wohnungsausstattung –, Sparsamkeit blieb weiterhin eine Tugend, selbst wenn das vor allem auf Kosten von Lina Scholl ging. Am 5. Mai hatte Sophie ihrem Bruder Hans geschrieben: »Mutter hat sehr viel zu tun, deshalb schreibe ich Dir.« Und am Ende heißt es: »Mutter knappt immer noch herum, ihr Fuß ist kaum besser.« Eine Woche später erfährt Inge Scholl von Sophie, dass »Mutters Fuß« immer noch nicht besser sei, weshalb sie zu Hause bleibe und auf den Schulausflug nach Reichenau gerne verzichte. Einem Brief vom Vater an Inge Scholl fügt die Mutter am 8. Juni hinzu: »Einen Gruß noch. Den ganz ausführlichen Brief schreibe ich Dir wahrscheinlich am Sonntag, die paar Wochentage über habe ich noch fast die ganze Wäsche zu bügeln und in den Garten muss ich auch noch 1–2mal.« Am 7. August bedauert die Mutter in ihrem Geburtstagsbrief, dass sie Inge nur einen Unterrock anfertigen konnte: »Gerne hätte ich Dir einen Pullover gemacht, doch hatte ich ganz unmöglich Zeit und schon längere Zeit habe ich wieder die Schmerzen im rechten Arm.« Lina Scholl hatte im Mai ihren 58. Geburtstag, Robert Scholl im April seinen 48. gefeiert, Übrigens war es selbstverständlich, dass der Rekrut Hans Scholl seine gesamte schmutzige Wäsche nach Hause schickte und sie umgehend sauber und gebügelt von der Mutter zurück bekam.
Kley und Geyer. Aus den ersten Kontakten zu Albert Kley und Wilhelm Geyer, deren Anfänge im Frühjahr 1938 liegen, entstand eine Freundschaft von Sophie Scholl und ihrer ganzen Familie zu den beiden Künstlern und deren Familien. Sie gehörte zum Leben von Sophie und Hans Scholl bis in ihre letzten Tage im Februar 1943. Albert Kley war Lehrer am Gymnasium in Geislingen und Maler. Wilhelm Geyer, 1927 von Stuttgart nach Ulm übergesiedelt, besaß einen Namen als Erneuerer der religiösen Malerei, hatte Glasfenster, Altäre und Wandgemälde für Kirchen im schwäbischen Raum geschaffen. Seit 1937 seine Bilder aus dem Ulmer Museum entfernt und als »entartet« gebrandmarkt wurden, bekam er so gut wie keine Aufträge mehr.
Sophie Scholl hatte sich darauf gefreut, Pfingsten mit Lisa Remppis in Ulm zusammen zu sein. Ebenso sehr hoffte sie, dass Fritz Hartnagel »aller-allermindestens an Pfingsten« kommen würde. Doch Fritz kam nicht, und Lisas Eltern verbaten ihrer Tochter unerwartet den Ulm-Besuch. Sie gingen wohl davon aus, dass auch Hans Scholl zu Hause sein würde. Aber für Sophie Scholl geht die Welt nicht unter, sie nimmt es gelassen und genießt die sommerlichen Temperaturen. Bei aller Liebe zu Fritz Hartnagel: Mit jedem Monat, der seit dem ersten Tanzkränzchen vergeht, kehrt die Besinnung auf die eigene Substanz zurück. Fern im Norden erfährt Inge Scholl von ihrer jüngsten Schwester: »An Pfingsten blieben wir daheim, bis auf einmal Stuttgart. Das heißt: Wir lagen nur an der Iller zum Baden. Einmal waren wir auch mit dem Kanu weg und gondelten in so einem romantischen Altwasser der Donau … Es waren schöne Tage.«
Am 6. Juni, es ist Pfingstsamstag, hatte Sophie Scholl an Lisa Remppis geschrieben: »Ich komme eben von der Iller. Nur darfst Du nicht meinen, ich hätte gebadet. Ich war nämlich in letzter Zeit krank und nicht in der Schule vor Pfingsten. Folglich kann ich nicht baden. Aber ich habe mit Erika gezeichnet. Das war sehr lustig und nett, wir hockten in Hemd und Hose da, und wenn wer vorbei ging, warfen wir schnell eine Jacke um uns.« Erika Reiff, ein wenig älter als Sophie Scholl, ist seit vielen Jahren mit Inge Scholl befreundet und oft in der Olgastraße zu Gast. Im Jahr zuvor hatte Sophie Scholl sie im Tagebuch als »gut bürgerlich und gebildet« charakterisiert,
Weitere Kostenlose Bücher