Sophie Scholl
Menschen nicht mehr. Wenn ich durch den Rundfunk die namenlose Begeisterung höre, möchte ich hinausgehen auf eine große einsame Ebene und dort allein sein.« Während Vertrauen und Bewunderung zum Führer Adolf Hitler bei der großen Mehrheit ins Maßlose wuchsen, verbunden mit der naiven Erwartung, nun werde ein goldenes friedliches Zeitalter beginnen, sieht Hans Scholl mit diesem Überfall, der ohne Blutvergießen gelang, die Kriegsgefahr steigen.
Fünf Jahre sind vergangen, seit der vierzehnjährige Hans Scholl Tag für Tag das Hitler-Bild wieder aufhängte, das der Vater abgenommen hatte; seit Tränen flossen, wenn Robert Scholl seinen Sohn zur Rede stellte, weil er über Nacht mit der HJ-Gruppe außer Haus war, und Inge Scholl aus Solidarität mit dem Bruder ein nationalsozialistisches Lied auf dem Klavier hämmerte. Jahre, in denen Hans und Inge und Sophie Scholl als überzeugte und schneidige Führer und Führerinnen von Jungvolk und Jungmädeln in Ulm bewundert und gefürchtet waren. Nun ist das Gespräch zwischen Hans Scholl und den Eltern wieder in Gang gekommen, auch das zeigen seine Briefe im Frühjahr 1938. Wann dieser Prozess begann, ist nicht auszumachen. Ein Brief von Robert Scholl an seinen Sohn Hans zum Jahresbeginn 1938 lässt vermuten, dass es später war als bisher angenommen; dass erst der Gefängnisaufenthalt auf beiden Seiten verhärtete Positionen auflöste.
Nach der Untersuchungshaft im Dezember 1937 und einigen Ferientagen in Ulm hatte Hans Scholl am 6. Januar 1938 seinen Dienst bei der Kavallerie in Bad Cannstatt wieder aufgenommen. Am 17. Januar schreibt ihm der Vater und muntert ihn auf: »Lass Dich lieber Hans von den Gedanken an diese unerquicklichen Dinge nicht allzuviel gefangen nehmen, weil Du Dir sonst den frohen Mut zum Dienst schwächst. Wir müssen oft schwerer an den Folgen unseres schwachen Willens tragen, als dies billig erscheint.« Dem Blick nach vorn folgt ein selbstkritischer Blick zurück: »Oft denke ich daran und mache mir deswegen Vorwürfe, dass ich Dir in den letzten Jahren nicht Kamerad und Freund gewesen bin, sondern unsere Wege habe allzusehr getrennt gehen lassen. Wenn sich jemand voller Vertrauen aussprechen kann, kommt man leichter über kritische Zeiten hinweg. Auch der Mensch braucht für Regungen des Gefühls oder des Blutes gewissermaßen Blitzableiter.« Ein väterliches Angebot, das versiegte Gespräch wieder aufzunehmen; Hans Scholl hat es angenommen.
Die gelöste Stimmung zwischen Vater und Sohn, das neu gewonnene Vertrauen war wichtig für alle Geschwister, gerade weil sie so fest zusammenhielten. Die Meinung von Hans beeinflusste Inge und Liesl, Sophie und Werner Scholl. Auch in den Briefen der Eltern an Inge Scholl zeigt sich, dass 1938 über politische Ansichten ein vertrauensvoller Austausch stattfindet. Am 8. Juni schreibt Robert Scholl seiner Tochter: »Politisch hängen über der Welt in letzter Zeit dunkle Wolken. Zum Krieg mit Spanien schwere Spannungen wegen der Tschechoslowakei. Diese Spannung lastet fort und kann sich jeden Tag wieder verstärken. Kommt es zum Reißen, dann bedeutet das zweifellos einen neuen Weltkrieg. … Ich glaube, dass die Entscheidung ›Krieg oder Frieden‹ spätestens bis Herbst fallen wird. Ein moderner Krieg würde mit der furchtbaren Luftwaffe kaum eine größere Stadt unversehrt lassen. Das Ende wäre wohl anders, als sich die meisten denken.« Es war eine kluge, eine prophetische Sicht.
Ein Brief von Lina Scholl an ihre Tochter Inge, am 29. September 1938 geschrieben, verrät nur wenig verschlüsselt, woher Robert Scholl seine Informationen über die neueste, die Sudetenkrise hatte: »Kannst Dir denken, dass wir nicht taub und blind sind in diesen Tagen. Vater sorgt schon dafür und wir müssen immer hübsch den Mund halten, wenn die Nachrichten kommen.« Die Scholls besaßen ein Radio mit hoher Empfindlichkeit und konnten den Schweizer Sender Beromünster empfangen. Die Reichweite des preiswerten, von den Nationalsozialisten propagierten »Volksempfängers« ging wohlweislich nicht über die deutschen Grenzen hinaus.
Die Nachrichten aus Beromünster waren Gesprächsthema am Familientisch der Scholls, davon kann man ausgehen. Sophie Scholl war gut informiert, auch wenn sie weiterhin sehr mit sich selber beschäftigt war, Stunden allein bei den Bäumen im Illerwald verbrachte, Baden und Zeichnen ihre freie Zeit ausfüllten. Weiterhin war sie auf der Suche, was ihr Weg im Leben sein könnte. Eine Frage,
Weitere Kostenlose Bücher