Sophie Scholl
Auto in den Norden zu fahren. Mitte Juli 1938 stiegen Sophie und Werner Scholl, Lisa Remppis und die Freundin Annelies Kammerer ins Auto. Sophie Scholl saß auf dem Vordersitz, »in viele Sachen eingewickelt, Pillen schluckend«, da sie etwas Halsweh und Fieber hatte. Gießen war die erste Station mit Übernachtung in der Jugendherberge – »Herr Kammerer fährt vorsichtig«. Nach der Rückkehr hat Sophie Scholl Fritz Hartnagel einen launigen Reisebericht geschrieben.
Am zweiten Tag kamen sie bei Inge Scholl in Lesum an. Sie »empfing uns halb hochdeutsch, was Lisa furchtbar zum Lachen reizte«. Es erinnert daran, dass Sophie Scholl ihre schwäbische Sprach- und Lauteinfärbung nie abgelegt hat. Ihre heiter-ironische Bilanz: »Wir genossen alles unsagbar, besonders die Nordsee bis zum Brechreiz.« Letzteres bezog sich auf eine Ausfahrt mit Fischkuttern, die in stürmische See führte. Zuerst amüsierte sich der jugendliche Trupp aus Ulm noch über ein mitfahrendes Ehepaar: »Als nach drei Stunden die Frau anfing sich zu übergeben, da kniffen wir uns vor Freude.« Dann erwischte es Sophie Scholl: »Ich hing noch 5 mal über, dann kamen bloß noch die Magensäfte. Es machte aber garnichts aus, wir waren immer guter Laune.« In Worpswede besuchte Sophie Scholl den bewunderten Dichter Manfred Hausmann. Die Gruppe aus Schwaben wanderte durchs Moor, sang aus vollem Hals, und Sophie Scholl spielte dazu auf der Klampfe. Mitte September wird Lisa Remppis der Freundin nach Ulm schreiben: »Da sitze ich nun in meinem Stübchen und lerne. Und die schönen blauen Sommertage auf Fahrt sind so weit.«
Nach der Rückkehr aus dem Norden hatte auch Sophie Scholl in Lisas Stübchen in Leonberg bei Stuttgart gesessen, da sie den Rest der Ferien bei der Freundin verbrachte. Und sie hatte dort auch einen Brief geschrieben: an Fritz Hartnagel, weil ihr »von einer Stunde auf die andere« bewusst geworden war, dass sich etwas ändern musste in ihrer Beziehung.
BEFREIUNG AUS DEN WIDERSPRÜCHEN
August 1938 bis Februar 1939
»Ich will mir mal einen Ruck geben«, steht in Sophie Scholls Brief an Fritz Hartnagel vom 15. August 1938. Aber sie hat gar keine Wahl: »Ich schreibe Dir das, weil ich es nicht ertragen könnte, irgendwie unwahr zu Dir zu sein.« Die Wahrheit: »In dem Verhältnis, in dem ich zu Dir stehe, kann ich nicht weiter bleiben. … Ich bin einfach noch zu jung, lach bitte nicht, es ist so, es drückt mich zusammen. … Ich bin noch nicht erwachsen, bitte nimm mir nichts übel, aber ich kann es noch nicht.« Die Gründe liegen allein auf ihrer Seite, es ist nichts, was sie Fritz Hartnagel vorwirft: »Sei mir bitte nicht böse. Ich habe Dir ja viel zu verdanken. … Und denke nicht schlecht von mir.« Sie fühlt sich seinen Ansprüchen nicht gewachsen, doch trennen will sie sich nicht von ihm: »Du sollst aber trotzdem noch zu mir kommen und ich zu Dir.« Keine Liebe, aber Freundschaft, so wünscht es Sophie Scholl, so fordert sie es – und am Ende des Briefes: »Schreib mir bitte bald, ich habe bis dahin keine Ruhe. … Gib mir gleich Antwort, bitte! Ich warte jetzt schon immer.«
Fritz Hartnagel antwortet erst einmal nicht. Als er dann schreibt, hat er einen guten Grund, sich nur auf eines zu konzentrieren: Er liegt in Augsburg im Krankenhaus und hat Typhus. Anfang September steigt das Fieber auf vierzig Grad, er ist erst einmal frei von allen Anforderungen. Hin und wieder kommt ein Brief von ihm. Fritz Hartnagel erzählt von den fröhlichen Seiten seiner Krankheit – »du würdest Dich sicher krank lachen, ich hab mir nämlich einen Vollbart wachsen lassen« – und hofft auf einen Brief von ihr. Kein Wort zu Sophies Brief aus Leonberg.
Einen Schwerkranken darf man nicht bedrängen. Sophie Scholl geduldet sich, schreibt einen Brief nach dem anderen mit Geschichten aus ihrem Ulmer Leben. Und das ist nicht von Traurigkeit geprägt: »Am Dienstag waren wir wieder bei Anneliese um zu lernen. Das haben wir nämlich eingeführt, jeden Dienstag von 5–7 zu lernen. Es wurde ja noch nicht viel draus. Has und Oskar kamen noch und dann haben wir geraucht und getanzt.« Has ist der Spitzname für ihren Bruder Werner. Mit der Schwester Liesl hatte sie am Tag zuvor, dem 14. September, eine Radtour nach Blaubeuren gemacht.
Zehn Tage später, an einem Samstag, kommt Hans Scholl nach Hause, und mit der ganzen Familie wird sein Geburtstag nachgefeiert. Es ist 20 Uhr, Sophie Scholl hat gerade einen Brief an Fritz Hartnagel begonnen.
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