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Sorry

Titel: Sorry Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Zoran Drvenkar
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vor zehn.
    – Du meine Güte, sagt der Mann, rührt sich aber nicht. Er lächelt dich plötzlich an. Sein Lächeln ist ansteckend.
    – Kennen wir uns? fragst du und lächelst zurück.
    – Nein, ich denke nicht.
    Der Mann schüttelt den Kopf, als würde er es sich noch einmal überlegen, dann versucht er, sich aufzurichten, zittrig und schwankend. Er sieht dich entschuldigend an und streckt dir seine Hand entgegen. Du trittst vor. Seine Finger schließen sich um dein Handgelenk. Es ist dir einen Moment lang peinlich, daß er deine schweißnasse Haut spürt, aber dieser Moment verliert seine Bedeutung, denn die Dunkelheit um dich herum explodiert mit einem Mal in einem grellen Licht. Deine Blase entleert sich, während du gleichzeitig deine Augen weit aufreißt und das Gesicht des Mannes klar und deutlich wahrnimmst. Es hat schon fast etwas Religiöses. Eine Offenbarung. Als würdest du Gott erblicken.
    – Gut so, sagt der Mann, aber du hörst es nicht mehr. Du bist nur noch ein zitterndes Bündel auf dem Waldweg. Deine Nerven spielen verrückt, die Synapsen feuern nutzlos, und in einer Nische deines Verstandes ruft dir eine Stimme schrill und laut Warnungen zu, aber du verstehst keine einzige Silbe.

TAMARA
    Tamara wartet. Sie verbringt die Stunden im Wohnzimmer auf dem Sessel. Sie kann jetzt verstehen, warum Leute Totenwache halten. Es ist die Trennung, die einem schwerfällt. Es gibt kein Zurück. Vielleicht heißt tot sein von allen verlassen sein. Und je länger man bei den Toten bleibt, desto länger bleiben sie am Leben.
    Sie versucht, zu lesen. Sie versucht nachzudenken. Für eine Weile versucht sie auch, zu schlafen, aber die Gedanken schleichen sich ein. Etwas nagt an ihr, schemenhaft, unklar wie das Fragment eines Traums. Sie schaltet den Fernseher ein und wechselt zwischen den Kanälen, sie will abgelenkt werden.
     
    Als die Nacht anbricht und sie noch immer nichts von Kris gehört hat, stromert Tamara durch die Villa und ist mehrmals versucht, sich ins Auto zu setzen. Und dann? Sie weiß nicht, wohin sie fahren soll. Für Minuten starrt sie aus dem Fenster auf die Einfahrt. Jeder Wagen, der sich nähert, erfüllt sie mit Hoffnung; jeder Wagen, der vorbeifährt, macht sie noch unsicherer, als sie ohnehin schon ist.
    Habe ich ihn falsch verstanden? Er hat gesagt, er braucht noch einen Moment für sich. Er hat nicht gesagt, daß daraus eine ganze Nacht wird.
    Tamara sieht zum Fernseher. Eine Frau hängt auf einer Wiese hundert Meter Wäsche auf. Es ist albern, die Frau arbeitet wie ein Hamster. Tamara schaltet den Fernseher aus und will nach oben gehen, um eine heiße Dusche zu nehmen. Die Bilder jagen durch ihren Kopf wie ein Gedankensturm.
    Kris, der sich vorbeugt und Dreck von Wolfs Leiche schiebt. Kris, der Wolfs Hand an seine Wange drückt.
    Tamara, die mit den Zähnen ...
    Sie hastet zur Fernbedienung und schaltet den Fernseher wieder ein.
    Die Waschmittelwerbung ist vorbei, der nächste Spot zeigt eine Katze, die wie ein Mensch schaut. Aber Tamara hat die Verbindung gefunden. Die Erinnerung steht klar und deutlich vor ihren Augen. Sie sieht Helena in ihrem Garten. Sie sieht die gespannte Wäscheleine, den Korb voller Wäsche, die Ruhe, mit der Helena jedes einzelne Teil aufgehängt hat. Kris und seine Witze, daß es wahrscheinlich niemanden auf der Welt gebe, der so langsam seine Wäsche aufhängt wie die Dame von gegenüber. Und Wolf hat ergänzt, daß, sobald Helena das letzte Stück aufgehängt habe, die erste Reihe bestimmt schon wieder trocken wäre.
    Tamara kneift die Augen fest zu und sieht noch mehr.
    Der Garten der Belzens erscheint ihr jetzt klar und deutlich. Die Leine und wie der Wind die nassen Wäschestücke bewegt. Blaßgrün.
    Sie öffnet die Augen, holt die Taschenlampe aus der Flurkommode und rennt in den Garten. Sie kniet sich in den Dreck und braucht nicht lange zu suchen. Ein Zipfel des Kopfkissenbezugs schaut aus der aufgewühlten Erde hervor. Blaßgrün . Gestickte Lilien . Tamara zieht den Kissenbezug heraus. Sie hört Helena, die ihr zuruft, daß es nichts Besseres gibt als Wäsche, die in der Sonne trocknet. Helena, die von dem Geruch schwärmt, als hätte jeder Tag seinen eigenen Geruch, während hinter ihr die Laken und Bezüge blaßgrün im Licht flackern. Tamara läßt den Kopfkissenbezug sinken und schaut zum dunklen Haus der Belzens hinüber.
     
    Sie läßt es bei den Belzens klingeln. Sie steht in der Küche und beobachtet das Haus. Kris geht noch immer nicht an

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