Sorry
das Weiß, die Kälte, die Stille. Frauke ging zu ihrem Wagen und war dabei, mit zitternden Händen eine Zigarette aus der Schachtel zu klopfen, als ihr Handy klingelte.
Tamaras Nummer war auf dem Display angezeigt.
– Ja?
In der darauffolgenden Stille erwartete Frauke alles. Beschimpfungen und Fragen. Sie wäre auch nicht überrascht gewesen, wenn Tamara einfach nur rumgealbert hätte.
Kennst du mich noch?
– Könntest du bitte mal kommen, sagte Tamara. Dein Vater liegt vor der Tür.
Frauke schreckt zusammen. Sie weiß nicht, wie lange sie vor sich hin gestarrt hat. Wie kann ich nur so unvorsichtig sein? Der Lärm des vorbeifahrenden Streuwagens hat sie aus ihren Gedanken gerissen. Woher wußte Meybach, daß ich mich schuldig fühle? Woher wußte er das? Ihre rechte Hand schmerzt, sie lockert den Griff und starrt auf das Messer. Es ist zwanzig nach zehn, und Frauke fragt sich, ob sie wirklich töten könnte. Früher hat sie geglaubt, wenn sie einen Hügel schnell genug hinaufläuft, dann würde sie oben ankommen und mit Schwung davonfliegen. Der Anlauf war wichtig.
So könnte Töten sein, ich brauche einen richtigen Anlauf und muß daran glauben, dann geschieht es von allein.
Frauke versucht, sich das Leben danach vorzustellen. Wie sie wieder mit der Arbeit anfängt, wie sie sich beim Araber einen Teller Taboulé bestellt, im Buchladen stöbert oder sich mit Kris ausspricht; wie sie sich mit dem und dem Mann verabredet und genau weiß, ob sie oder ob sie nicht mit ihm Sex haben wird; wie sie mit Wolf redet, wie Tamara sie in die Arme schließt, wie alles in Ordnung ist und wie sie einfach nur sie ist und niemand sonst, nachdem sie einen Menschen getötet hat.
– Wo bleibst du nur? sagt sie halblaut und lauscht dem sich entfernenden Streuwagen und wünscht sich, wieder in der Villa zu sein.
Frauke braucht normalerweise von Potsdam aus keine zehn Minuten bis zur Villa, gestern aber hat die Fahrt durch den Schneefall über eine halbe Stunde gedauert. Vor der Villa angekommen, wagte sie es nicht, auf das Grundstück zu fahren, und parkte wie eine Fremde auf dem Bürgersteig davor.
Was ist, wenn sie mich nicht reinlassen?
Frauke prüfte ihr Gesicht im Rückspiegel. Die schwarzen Haare, der Mittelscheitel, vielleicht etwas zuviel Make-up um die Augen . Sie strich sich das Haar hinter die Ohren und stieg aus.
Ihr Vater saß in eine Decke gewickelt auf der Veranda. Er hielt einen Becher in den Händen und erinnerte Frauke an ein Schwarzweißfoto, das sie einmal auf einer Ausstellung gesehen hatte. Als ihr Vater sie auf sich zukommen sah, nahm er schnell die Decke von den Schultern. Er will nicht alt und schwach wirken.
– Ich dachte, es wäre keiner da, sagte er zur Begrüßung und zeigte mit dem Daumen hinter sich, also habe ich draußen gewartet.
– Du hättest erfrieren können, sagte Frauke und warf einen Blick zum Küchenfenster. Niemand war zu sehen.
– Typen wie ich erfrieren nicht so leicht, erwiderte ihr Vater und klopfte sich mit der linken Hand gegen die Brust. Edelstahl, verstehst du?
Er faltete die Decke zusammen und legte sie auf die Bank.
– Das war ein Scherz.
Er wollte sie umarmen. Frauke wich zurück. Sie hatte heute mehr als genug Zuneigung von einem Elternteil bekommen.
– Ich weiß, daß das ein Scherz war, sagte sie. Wieso hast du mich nicht angerufen?
Ihr Vater tat, als hätte er sie nicht gehört.
– Tamara ist wahrscheinlich das Herz stehengeblieben, als sie mich vor der Tür fand. Junge, Junge, du hättest ihr Gesicht sehen sollen. Wahrscheinlich dachte sie, ich wäre tot. Diese Luft macht aber auch müde.
– Vater, wieso hast du mich nicht angerufen?
– Dein Wagen war nicht da. Ich dachte mir, du kommst bestimmt gleich wieder. Ich bin es ja gewöhnt zu warten. Tamara hat mir Kaffee gemacht, aber ich wollte nicht reingehen. Dicke Luft, oder?
Er trank einen letzten Schluck aus dem Becher und kippte den Rest in den Schnee, bevor er die Tasse auf die Bank stellte. Ein häßlicher brauner Fleck blieb im makellosen Weiß zurück.
– Was ist jetzt? fragte ihr Vater. Gibt es Ärger zwischen euch oder nicht? Du kannst es mir ruhig sagen, ich - - -
– Es geht dich nichts an.
Er hob abwehrend die Hände.
– Ist ja schon gut. Deswegen bin ich ja auch nicht hier. Deine Mutter hat sich gemeldet, sie will dich sprechen.
– Ich weiß, ich habe sie eben besucht.
– Aber woher wußtest du ...
Ihr Vater verstummte und rieb sich über das Gesicht, er war wie
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