Soul Beach 1 - Frostiges Paradies (German Edition)
des Schranks. Nach all den Dramen des heutigen Tages sehe ich ziemlich fertig aus. Okay, am Strand ist sowieso jeder wunderschön, aber es kann wohl kaum schaden, wenn ich meiner Webcam ein bisschen unter die Arme greife.
Als ich meine Haarbürste und den Schminkspiegel zur Hand nehme, ist mir klar, dass ich damit nur versuche, den Moment, in dem ich es erfahre, hinauszuzögern, aber wenn es wenigstens meinem Selbstbewusstsein einen kleinen Schubs gibt, kann ich das wohl vertreten.
Am Anfang muss die Bürste sich durch einige Knoten kämpfen, aber ich mache weiter und halte die Strähnen fest, damit es nicht an den Haarwurzeln ziept, genau wie Meggie das immer gemacht hat, wenn sie mich frisierte, als wir noch klein waren. Langsam, aber sicher kehrt der Glanz zurück. Okay, vielleicht nicht direkt Glanz, aber zumindest sehen meine Haare nicht mehr so aus, als hätte ich den letzten Monat unter einer Brücke gehaust.
Verglichen damit wirken meine Augen jetzt furchtbar müde. In der Nachttischschublade finde ich mein halbvergessenes Schminktäschchen und tusche mir die Wimpern. Wahnsinn, jetzt sehe ich ja fast wieder wach aus. Ich kippe die Lippen- und Kajalstifte auf dem Schreibtisch aus und erinnere mich, wie meine Schwester mir beigebracht hat, was ich damit alles anstellen kann. Du hast so wunderhübsche Lippen, Florrie. Wenn du dieses rosa Gloss benutzt, werden dich alle Jungs küssen wollen!
Ich lächele vor mich hin. Ich will gar nicht alle Jungs. Der Einzige, den ich will, wird mich niemals küssen können. Aber heute wird er vielleicht immerhin stolz auf mich sein.
Genug Zeit verschwendet. Bringen wir’s hinter uns. Ich greife unters Bett und ziehe die Schachtel mit Meggies Zimmerschlüssel hervor. Ich weiß nicht, was ich erwartet hatte – dass er mir ein Lied vorsingt oder im Dunkeln leuchtet? –, aber es ist einfach nur ein Schlüssel.
Klick, klick.
Nicht mal ein halbes Dutzend Mausklicks. Sondern nur zwei. Die Grenze zwischen dem realen Leben und dem Strand ist immer schmaler und schmaler geworden, bis sie nun kaum noch existiert.
Nebel. Eine frische Brise. Der Duft von Kokosnüssen. Ich glaube, nach dem Tag, der hinter mir liegt, kommt mir das alles noch intensiver vor als sonst. Vielleicht liegt es auch an dem Kontrast zu der Nachtluft draußen, wo es nach durchweichtem Feuerholz und glitschigem, fauligem Laub riecht.
Ich blinzele, einmal, zweimal, denn der Bildschirm wird einfach nicht klar. Es hat sich definitiv etwas verändert, aber ich weiß noch nicht, was. Die Seite reagiert langsamer, aber die Gerüche und das Rauschen der Wellen scheinen sich verstärkt zu haben.
»Alice!«
»Hier drüben, hier drüben!«
»Florrie …«
Danny, Javier und Meggie rufen mich zu sich, aber ich kann sie nicht sehen. Ihre Stimmen scheinen mich zu umkreisen.
Doch als der Nebel sich endlich lichtet, sitze ich in der Strandbar, am Tisch, der dem Meer am nächsten ist, und außer mir ist nur Sam hier. Sie sieht anders aus. Ich erkenne Fältchen und trockene Haut um ihre Augen und Nikotinflecken auf ihren Zähnen.
Sam lächelt. »Du hast es geschafft, Schätzchen.«
»Triti?«
»Weg.«
Ich fühle mich benommen. »War das wirklich ich? Mit dem, was ich gemacht habe?«
»Ich weiß ja nicht, was du gemacht hast, Alice, aber wer oder was hätte es sonst sein sollen?«
Rieche ich da Schweiß, wenn sie sich zu mir vorbeugt?
Alles wirkt so viel klarer. Es ist, als hätte ich den Soul Beach zuvor durch verschmierte Brillengläser betrachtet, die nun endlich jemand ordentlich geputzt hat. Und ich kann spüren, wie die aus Binsen geflochtene Sitzfläche meines Stuhls an meinen nackten Beinen kratzt, obwohl ich natürlich in Wirklichkeit in einer dicken novembertauglichen Jeans auf einem mit rosa Velours bezogenen Bürostuhl in meinem Zimmer sitze.
»Wann ist sie gegangen?«
»Es hat ein Gewitter gegeben. Zuerst konnten wir sie da draußen heulen hören wie am Spieß, aber irgendwann klang ihre Stimme plötzlich anders. Es war mehr, als riefe sie jemandem etwas zu, den sie kennt. Jemandem, den sie liebt. Um ehrlich zu sein, Alice, ich habe ihre Stimme beinahe nicht erkannt, weil sie so … na ja, so glücklich klang. Zum ersten Mal seit dem Feuerwerk. Und dann, nach dem Sturm, war nichts mehr da. Kein Heulen. Keine Rufe. Nur das Rauschen der Wellen.«
Ich schließe die Augen und sehe Tritis Gesicht vor mir: nicht die skelettartige Maske, sondern das hübsche Mädchen mit den vollen Wangen, das sie einmal
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