Soul Screamers: Sophie (German Edition)
allem Überfluss auch noch? „Kenne ich dich?“
Sie lachte auf, aber ich konnte nicht erkennen, was daran witzig sein sollte. „An den meisten Tagen kenne ich mich nicht einmal mehr selbst, also woher soll ich wissen, ob du es tust?“ Sie blinzelte, dann blickte sie stirnrunzelnd zu Boden. „Das ist ziemlich gut“, murmelte sie und fuhr sich mit der Hand durch ihr wirres, farbloses Haar. „Vielleicht für die dritte Strophe …“
Danach schweifte ihr Blick ab, und sie sang leise vor sich hin, eine klare, zarte Melodie, die ihre eigene Existenz infrage stellte. Ich kannte die Melodie nicht und war mir bei einigen Worten nicht mal sicher, ob es sie wirklich gab, aber ich kannte diese Stimme. Sie schloss die Augen, und ich beobachtete sie, und vermutlich wäre ich viel früher auf das Offensichtliche gekommen, wenn es nicht so unglaublich unwahrscheinlich gewesen wäre.
Und sie auch nur einen Hauch von Make-up getragen hätte.
„Addison Page“, sagte ich, und sie riss die Augen auf, die jetzt wieder ganz fokussiert wirkten. „Du bist Addison Page.“
Sie nickte langsam. „Hätte ich fast vergessen.“
In der Unterstufe war ich geradezu besessen von ihrer Fernsehsendung gewesen und fest davon überzeugt, dass ich ihr ähnlich genug sah, um ihre kleine Serienschwester spielen zu können. Aber dann hatte ich mich ganz dem Tanzen gewidmet, und Addison Page hatte die Serie verlassen, um ein Album herauszubringen, und Anfang des Jahres war sie …
„Du bist tot.“ Ich schüttelte den Kopf und versuchte, alle Fakten in meinem Kopf zusammenzubringen, obwohl es keinen Sinn ergab. „Ich hab es in den Nachrichten gesehen. Wie kannst du hier sein, wenn du gestorben bist?“
„Keine Ahnung.“ Addison warf mir einen finsteren Blick zu, als hätte ich ihre Gefühle verletzt. „Wie kannst du hier sein, wenn du gestorben bist?“
„Ich bin nicht … ich …“ Ich wusste nicht, was ich auf diesen Blödsinn antworten sollte.
Addison war ganz offensichtlich nicht wirklich tot, und ich auch nicht. Hing sie hier etwa fest, so wie Luca und ich? Hatte ihre Familie einfach angenommen, dass sie nicht mehr am Leben war, als sie einfach verschwand? Würde mein Dad auch glauben, dass ich tot war, falls ich nie wieder nach Hause zurückfand?
„Ich weiß es nicht. Und genau das ist das Problem“, sagte ich schließlich. „Ich weiß nicht, wie wir hierhergekommen sind, und ich weiß nicht, wie man zurückkommt.“
Addison zuckte die Achseln, und ihr Blick schweifte wieder ab. „Nimm einfach wieder den Weg, auf dem du hergekommen bist.“
An ihrer Seite scharrte etwas über den Boden, und ich blickte nach unten, wo sich eine der Ranken um eine Plastikwasserflasche gewickelt hatte und sie langsam in Richtung Gerüst zog. Addison seufzte und nahm die Flasche hoch, dann zog sie mit ihren bloßen Fingern die Ranken davon ab. „Ihr gierigen, blutrünstigen kleinen Mistdinger“, murmelte sie. Dann reichte sie mir die Flasche. „Die hat er dir geschickt. Nicht dass du verdurstest, ehe er mit dir fertig ist.“
„Wer?“, fragte ich, während ich den Verschluss der Flasche aufdrehte. Aber dann bemerkte ich, dass sie kein Etikett hatte und der Verschluss beim Aufdrehen nicht knackte. Die Flasche war nicht versiegelt gewesen.
„Wo hast du die her?“ Ich beäugte argwöhnisch den Inhalt.
Addison zuckte mit den Achseln, antwortete aber nicht.
„Ist das Leitungswasser?“, fragte ich und schnüffelte am Flaschenhals.
„Aus dem Brunnen im Park. Da gibt es das beste Wasser, auch wenn es zunächst ein bisschen säuerlich schmeckt. Aber ich kann dir stattdessen auch was aus dem Teich holen, wenn du lieber vergessen würdest.“
„Was vergessen?“
Wieder zuckte sie mit den Achseln. „An was auch immer du dich nicht erinnern möchtest.“
„Nein, danke.“ Ich gab ihr die Flasche zurück, aber sie weigerte sich, sie zu nehmen.
„Er will, dass du das trinkst.“
„Wer? Der Hellion? Ist mir scheißegal, was er will, ich trinke nichts von eurem Höllenwasser, das ist total gruselig! Was macht es überhaupt mit mir?“ Ob es mich wohl schrumpfen lassen würde, wie Alices „Trink mich“-Flasche im Wunderland? Wenn ja, vielleicht sollte ich es dann besser trinken, damit ich klein genug wurde, um einfach durch die Lücken zwischen den Ranken spazieren zu können.
„Mach dir keine Gedanken“, sagte Addison. „Das hier ist die gute Sorte. Sie macht dich schläfrig …“ Daraufhin gähnte sie ausgiebig, was sie
Weitere Kostenlose Bücher