Soul Screamers: Todd (German Edition)
eine nette Umschreibung für ,unsichtbarer Perverser’. Willst du mir das damit sagen?“
„Nicht, wenn du deinen Job eine Weile behalten willst. Aber die Chefetage sieht meistens darüber hinweg, wenn ein Anfänger eine harmlose Überwachung durchführt, weil er aus dieser Phase sowieso nach ein paar Jahren herauswächst.“
Ich blieb stehen und sah ihn fragend an. „Erstens: Wie viel Interpretationsspielraum beinhaltet der Begriff ,harmlose Überwachung’? Und zweitens: Warum sollte man aus dieser Phase je herauswachsen?“
„Weil man sie zusammen mit dem Menschsein hinter sich lässt, Todd. Je länger wir tot sind, desto weniger haben wir mit den Menschen gemeinsam. Man hat weniger Lust auf Dinge, die einen kaum noch interessieren.“
Na toll. „Willst du damit sagen, dass das Leben nach dem Tod auf die Libido schlägt? Falls es dich interessiert: Das ist bestimmt kein guter Stichpunkt für eure Werbebroschüre.“
„Und trotzdem schreckt es die wenigsten Bewerber ab. Kannst du dir vorstellen, warum?“ Levi musterte mich mit einem Ausdruck düsterer Belustigung. Er schien genau zu wissen, was in mir vorging. Und auf einmal fiel auch bei mir der Groschen.
„Ja.“ Ich ging mit gesenktem Blick weiter. „Weil alle denken, dass sie die große Ausnahme sind.“ Inklusive mir. Solange ich meiner Familie nahe war – wenn auch in einem anderen Istzustand –, konnte ich meine Menschlichkeit doch gar nicht verlieren. Schließlich umgab ich mich damit!
Levi musterte mich noch immer, aber mittlerweile war das Lächeln verschwunden. „Es funktioniert nicht“, sagte er sanft, aber bestimmt. „Es reicht einfach nicht.“
Ich erwiderte seinen Blick. „Können Reaper Gedanken lesen?“
„Nein, aber ich war schon immer ziemlich schnell von Begriff.“ Er schob die Hände in die Hosentaschen. „Es funktioniert eine ganze Weile. Aber je mehr Zeit du mit ihnen verbringst, desto schwerer fällt es ihnen, deinen Tod zu akzeptieren. Selbst dann, wenn sie dich nie zu Gesicht bekommen. Außerdem werden sie älter und sterben irgendwann, und spätestens dann ist es aus mit deiner Menschlichkeit. Früher oder später holt dich der Tod ein. Je länger du dich an der Vergangenheit festklammerst, umso schwerer fällt es dir am Ende loszulassen.“
„Anscheinend bist du außer für das Einsammeln von Seelen auch für das Zunichtemachen von Hoffnungen zuständig. Gehört das zum Job, oder bietest du diesen Service kostenlos an?“ Mein Herz krampfte sich schmerzhaft zusammen – das erste Anzeichen von Unwohlsein, seit ich als Toter erwacht war. War das nun ein gutes oder ein schlechtes Zeichen?
„Ich hatte das Gefühl, dich interessiert die traurige Wahrheit mehr als der schöne Schein. Habe ich mich da getäuscht?“
Ich sah ihm fest in die Augen. „Lass hören.“ Auch auf die Gefahr hin, dass ich mir dann wünschte, tot zu sein. Zum zweiten Mal.
Obwohl Levis Miene völlig ausdruckslos blieb, hätte ich schwören können, dass er irgendwie … zufrieden aussah. Er schwieg.
„Selbst in Anbetracht des unvermeidbaren Verlusts der Menschlichkeit: Wer sollte dein Angebot schon ausschlagen? Ich habe die Wahl, Reaper zu werden oder zu sterben, stimmt’s? Hat sich schon mal jemand dafür entschieden, sich wieder in den Sarg zu legen?“
Levi nickte bedächtig. Das Licht schimmerte auf seinen kupferfarbenen Locken und verlieh ihm einen blutroten Heiligenschein, der, so gruselig er auch war, einem Todesengel durchaus angemessen schien. Levi war nicht gekommen, um mir zu helfen. Er war hier, um eine freie Stelle zu besetzen. „Das kommt vor. Aber es kommt noch häufiger vor, dass sie das Angebot annehmen und es sich dann anders überlegen.“
„Warum?“
„Manche Leute halten es nicht aus, nicht mehr zu den Lebenden zu gehören. Andere sind für den Job zu zartbesaitet.“
„Was genau ist denn eigentlich der Job? Muss man tatsächlich jemanden … töten?“ Nachdem ich indirekt zum Tod meines Bruders beigetragen hatte, wusste ich genau, dass ich nicht das Zeug zum Henker hatte.
Levi zuckte die Schultern. „Man kann es keinesfalls mit Mord vergleichen, aber es ist schon so: Wenn die Zeit gekommen ist, löschen wir Leben aus. Dann sammeln wir die Seele ein und führen sie dem Recycling zu.“
„Du … du hast Nash also getötet?“ Ein entsetzlicher Gedanke, und trotzdem war ich heilfroh, dass jemand anderes die Schuld dafür trug.
„Und du hast ihn gerettet.“
Das stimmte nicht ganz. Ich hatte
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