Soul Screamers: Todd (German Edition)
hatte ich noch nie gesehen, aber ich kannte die Stadt, weil wir vor dem Tod meines Vaters als Kinder hier gewohnt hatten. Diesmal hatte Mom sich in einem älteren Teil des weitläufigen Wohngebiets niedergelassen. Es war ein Eckgrundstück, immerhin, aber das Haus war viel zu klein für drei Leute.
Für mich war hier kein Platz.
Mir war natürlich klar, dass ich nie mehr zu Hause einziehen würde, selbst wenn ich den Job annahm. Und dennoch schmerzte mich die Tatsache mehr, als ich erwartet hatte. Mom und Nash versuchten gerade, ihr Leben nach dem Unfall wieder in den Griff zu bekommen. Meine Anwesenheit würde ihnen die Umstellung nur erschweren. Und das wollte ich auf keinen Fall.
Warum hatte Levi mich bloß hierhergebracht?
„Was ist das, ein Bestechungsversuch? Du hast doch gesagt, zukünftige Reaper müssen unbestechlich sein.“
Levi zuckte die Schultern. „Wenn du denn Job annimmst, musst du vorher eines wissen.“
„Reicht es etwa nicht, dass ich tot, unsichtbar und offenbar von Edward mit den Scherenhänden eingekleidet worden bin?“
Mein Sarkasmus prallte an Levi ab. „Nein. Von Amts wegen müsste ich dir erklären, dass du nicht mehr am Leben bist, egal wie lebendig du aussiehst, dich fühlst und funktionierst. Zumindest nicht so, wie deine Freunde und deine Familie. Mit Eintritt des Todes hat deine Seele den Körper verlassen, und trotz der Reanimation gehörst du nicht mehr hierher. Daran wird sich nie etwas ändern. Ich müsste dir sagen, dass du dein neues Dasein und deinen neuen Job umso leichter akzeptieren kannst, je eher du das kapiert hast. Und je früher deine Verwandten und Freunde über deinen Tod hinwegkommen.“
Misstrauisch verschränkte ich die Arme vor der Brust. „Das klingt wie eine Empfehlung von der offiziellen Reaper-Website.“
„Genauer gesagt stammt es aus dem Handbuch zur Personalbeschaffung, aber offenbar kapierst du, worum es geht.“
„Schon. Aber warum bringst du mich hierher, wenn ich meiner Familie nicht im Weg stehen soll?“
„Weil ich befürchte, dass du sie erst recht sehen willst, wenn ich dich von ihnen fernhalte. Dir muss klar sein, dass du alles nur noch schlimmer machst, wenn du Kontakt zu ihnen aufnimmst. Anfangs freuen sie sich, dich wiederzuhaben. Aber mit der Zeit wirst du immer mehr zum Reaper und immer weniger Sohn und Bruder, und dann müssen sie dich ein zweites Mal gehen lassen. Ein sauberer Schnitt ist für alle Beteiligten das Beste.“
Vielleicht. Aber jeder, der sich schon mal geschnitten hat, weiß, dass auch der sauberste Schnitt saumäßig wehtut.
„Möchtest du reingehen?“ Er blinzelte mich aus zusammengekniffenen Augen fragend an. „Geschlossene Türen oder Fenster sind kein Problem, Wände und Decken schon. Und, nicht zu vergessen: Niemand kann dich sehen.“
Ich runzelte die Stirn. „Das ergibt alles keinen Sinn.“
„Auch Besucher müssen sich auf die eine oder andere Weise den Naturgesetzen unterwerfen.“
Bin ich das? Ein Gast im eigenen Zuhause? Das Haus war der steingewordene Beweis, dass ich nicht mehr zur Familie gehörte. Weder in ihr Zuhause, noch in ihr Leben – und genau das wollte Levi mir vor Augen führen.
„Als Reaper musst du nicht mehr alle Naturgesetze befolgen. Aber das ist nur der Anreiz für den Job. Keine Privilegien, bevor du den Vertrag nicht unterschrieben hast.“
„Mit Blut?“, fragte ich halb im Scherz.
„Darüber solltest du keine Witze machen“, erwiderte Levi und jagte mir mit dieser Antwort eine Heidenangst ein. „Wir treffen uns im Krankenhaus, wenn du fertig bist.“ Damit verschwand er, ohne mir zu sagen, wie ich dort hinkommen sollte und warum.
Als ich auf die Veranda zuging, nahm das Gefühl, dass alles um mich herum irreal war, zu. Ich hinterließ beim Gehen keinerlei Abdrücke auf dem Gras. Den Wind, der durch die Blätter der Bäume raschelte, spürte ich nicht. Ich hing irgendwo zwischen Leben und Tod fest, und meine Mutter lebte ohne mich weiter.
Das neue Haus war Beweis genug.
Ich streckte die Hand nach der Türklinke aus und griff direkt hindurch. Eigentlich hätte mich das nicht überraschen dürfen. Trotzdem verunsicherte mich jeder neuerliche Beweis meiner Körperlosigkeit nur noch mehr.
Mit geschlossenen Augen trat ich vor und lief einfach durch die Tür hindurch. Als ich die Augen wieder aufschlug, stand ich in einem unbekannten Zimmer mit den altbekannten Möbeln. Und einem ganzen Haufen Umzugskisten. An der Wand stand das Sofa mit dem Cola-Fleck, den
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