Soulbound (Ghostbound) (German Edition)
für ein Humbug!
Die Arme vor der Brust verschränkt lehnte Riley an der verkratzten und mit Aufklebern verunstalteten Verkaufstheke eines Musikladens und wartete auf den Verkäufer. Warum brauchte der Typ nur so lange?
Rileys Kopfschmerzen wurden immer schlimmer. Um genau zu sein, waren sie gerade dabei, sich in neue, ungekannte Höhen zu schrauben. Mit einem unterdrückten Stöhnen massierte er seine Schläfen und schloss die Augen.
Wie sehr er die Weihnachtszeit doch hasste.
Und das nicht nur, weil seine Mom auch in diesem Jahr die Trauer um seinen Vater in literweise Eggnog ertränkte, während Nan, seine Großmutter, verbissen versuchte, für Festtagsstimmung zu sorgen.
Nein, es lag an diesen verdammten Geistern.
Denn so, wie die Weihnachtszeit die Heilsarmee auf die Straße trieb, um abgeschmackte Christmas Carols zum Besten zu geben, so lockte sie auch die Geister aus ihren Löchern. Wo auch immer sie sich das restliche Jahr über herumtrieben, wenn Heiligabend näher rückte, tummelten sich erdgebundene Seelen um ihre Hinterbliebenen, folgten ihnen, redeten auf sie ein, versuchten auf jede erdenkliche Weise deren Aufmerksamkeit zu erhaschen.
Nur dass Lebende die Geister in der Regel nicht wahrnehmen konnten.
Dazu musste man ein Medium sein. Oder, wie Nan es ausdrückte, eine Gabe haben. Riley besaß diese Gabe, auch wenn sie in seinen Augen eher einen Fluch darstellte. Denn er konnte Geister zwar nicht sehen, doch er hörte sie und - was viel schlimm war - er spürte sie auch. Jede ihrer Emotionen konnte er empfangen, und zwar umso intensiver, je näher sie sich aufhielten.
Einige wenige dieser Empfindungen waren durchaus positiv. Es gab Geister, die damit zufrieden waren, diese besondere Zeit des Jahres an der Seite ihrer Lieben zu verbringen. Die große Mehrheit jedoch haderte mit ihrem Schicksal und es waren deren finstere Stimmungen, die sich nicht gerade förderlich auf Rileys Wohlbefinden auswirkten.
Normalerweise, wenn er es mit vereinzelt auftretenden Seelen zu tun hatte, konnte er ziemlich genau bestimmen, wo ein Geist sich aufhielt und was er empfand. Dann gelang es ihm problemlos, entsprechend zu reagieren und ihm gegebenenfalls auszuweichen. Aber nun stürmten permanent unterschiedlichste Gefühle und Schwingungen auf Riley ein, die seinen sechsten Sinn überlasteten. Auch wenn sich vermutlich nie mehr als drei oder vier Geister gleichzeitig in seinem etwa fünfzig Meter umfassenden Wahrnehmungsradius befanden, so herrschte in seinem Kopf dennoch ein unerträgliches Chaos. So, als würden sich in seinem Hirn mehrere Radiosender überlagern, inklusive infernaler Störgeräusche, und es ihm unmöglich machen, einzelne Signale herauszufiltern. Alles, was er hörte und spürte, war weißes Rauschen.
Und da reden die Leute vom Geist der Weihnacht , dachte Riley sarkastisch. Die Geisterlegion der Weihnacht traf die Sache schon eher.
„Hey“, sagte eine leise Stimme. „Alles klar mit dir? Geht´s dir nicht gut?“
Riley öffnete die Augen. Die Stimme gehörte einem Mädchen, das sich neben ihn gestellt hatte und ihn verhalten musterte. Sie war etwa in seinem Alter, also siebzehn und das Erste, das Riley an ihr auffiel, waren die feuerroten Zöpfe, die ein blasses Gesicht einrahmten. Dann stellte er fest, dass dieses Gesicht wirklich süß war. Und ein einziger Widerspruch. Es wirkte neugierig, doch gleichzeitig auf der Hut. Energisch und selbstbewusst, aber auch überaus verletzlich. Dazu passend strahlten aus ihren hübschen grün-blauen Katzenaugen in gleichem Maße Unschuld wie Lebenserfahrung.
„Hi“, sagte Riley verlegen und schob die Hände in die Hosentaschen. „Ja … ähm … alles klar. Mein Schädel brummt nur ziemlich.“
„Kopfschmerzen sind übel“, sagte der Rotschopf mitfühlend. „Da will man sich doch eigentlich nur verkriechen und die Welt aussperren, oder?“
„Wem sagst du das“, murmelte Riley. Wenn da nicht die Schule und die regelmäßigen Besorgungen für seine Mutter und Nan wären, würde er sich im Dezember am liebsten in seinem Zimmer verbarrikadieren.
Endlich kam der Typ, dem man den verkappten Musiker schon von weitem ansah, mit der CD. „Hier haben wir das gute Stück“, verkündete er und trotte hinter den Verkaufstresen. „ Die zwanzig romantischsten Akkordeon-Melodien .“
Das Mädchen unterdrückte ein Kichern und las auffällig konzentriert in einem Flyer.
„Die ist nicht für mich!“, beeilte sich Riley richtigzustellen. „Es ist
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